„Shockheaded Marie“ Theater der Zeit, Mai 2007
Zum Tod von Marie Zimmermann. 27. Dezember 1955 bis 19. April 2007
Tom Stromberg
April 1997 stand sie vor Ulrich Khuon und mir: Marie Zimmermann, Dramaturgin aus Stuttgart, früher Esslingen und Freiburg, Kandidatin für die Leitung von THEATERFORMEN. Zweifellos eine kluge und kenntnisreiche Theaterfrau. Würde sie aber auch ein internationales Festival erfolgreich leiten können? Wir wollten die zur EXPO 2000 in Hannover wieder ins Leben gerufenen THEATERFORMEN international machen und Theater aus der ganzen Welt zeigen.
Und wie sie konnte! Blitzschnell vernetzt mit allen wichtigen Leuten, in Rekordzeit eingearbeitet, jettete sie durch die Welt, überallhin, wo interessantes Theater lockte. Sie schaute, beurteilte glasklar, verhandelte, erfand und strukturierte, lud ein und war daneben immer auch als Geheimdramaturgin ihrer Gesprächspartner unterwegs. Kein Wunder, dass die ersten THEATERFORMEN ein voller Erfolg wurden! Einer der ganz großen Publikumsmagneten des Festivals war der wundervolle „Shockheaded Peter“ vom britischen Regisseursduo Julian Crouch und Phelim McDermott. Die deutsche Übertragung „Struwwelpeter“ begeisterte unser Publikum in Hamburg, wie gesagt: Geheimdramaturgin…
Eine beispiellose Blitzkarriere brachte sie 2001 zu den Wiener Festwochen, deren Schauspieldirektorin sie bis zuletzt war – sehr erfolgreich natürlich. Sie lenkte den Blick aufs Theater aus dem Osten, zeigte die großen Romanadaptionen von Frank Castor („Der Meister und Margarita“, „Schuld und Sühne“), Stan`s Café (Birmingham), Ronnie Burkett mit seinem Puppentheater aus Kanada, die Arbeiten von Jewgenij Grischkowez aus Russland.
Rund 150 Flüge unternahm sie im Jahr, um Theater in aller Welt zu sehen. Es ging die Anekdote um, man habe ihr Steuerbetrug unterstellt angesichts ihrer immens hohen Reiseabrechnungen – bis der Steuerprüfer ihren Terminkalender sah. 2005 machte sie ein Jahr Pause – von Wien, aber nicht vom Theater. Das Festival Theater der Welt in Stuttgart stand an, von ihr konzipiert. Wieder reisen, gucken, verhandeln.
Ab Mai wäre für Marie Zimmermann die letzte Saison der Wiener Festwochen angelaufen, die Frau mit der wilden Shockheaded-Frisur. Mit 41 Produktionen aus zwanzig Ländern. Vor kurzem noch hatte ich mit ihr verhandelt, mich über ihre Beharrlichkeit und ihren herben Charme geärgert. „Erlauben Sie mir die Anmerkung, dass mich das Prozedere – binnen 24 Stunden verschiedene Termine zu avisieren und wieder zu verwerfen, nachdem bereits mehrere Wochen der Überlegung und Absprachen vorausgegangen waren – nicht wenig irritiert hinsichtlich der Verlässlichkeit notwendiger Abstimmungen zwischen uns. Es würde alle Beteiligten sehr beruhigen, wenn die Halbwertzeit solcher Nachrichten in Zukunft von längerer Dauer sein könnte“, schrieb sie uns. Recht hatte sie!
2008 hätte der erste große Intendanzposten die Karriere gekrönt: Leiterin der Ruhr-Triennale. Nicht aufzuhalten diese Frau? Zu viel gearbeitet, zu viel gereist. Intelligenz gepaart mit Verbrennung – Geschwindigkeit mit Auflösung – der Preis für so viel Erfolg ist unbezahlbar.
Gerade hatten wir noch über Zadeks Produktion bei den Wiener Festwochen gestritten, da tauchte sie ab. Schluss – jemand, der damit vertraut ist, sagte mir, Depressionen seien eine Krankheit, die häufig tödlich ende. Ich hätte versucht, ihr zuzurufen: „Marie, lassen Sie den Scheiß…“. Aber das hätte nichts genützt.