„Mörderische Zeiten mit Peter Zadek“. „Der Jude von Malta“ am Burgtheater Wien. Hamburger Abendblatt, 17.Dezember 2001
(Gastkritik. Der Chef des Deutschen Schauspielhauses über die Inszenierung eines seiner Vorgänger)
„Der Jude von Malta“ – ein Projekt, über das wir viel sprachen; wohl auch, weil uns beide aus biographischen Gründen das Thema beschäftigt. Zadek beschrieb mir seine Lust an und seine Sorgen um dieses Skandalstück. Doch wer, wenn nicht er, soll in diesen Zeiten dieses Thema behandeln? Und wann wird er „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder auf eine deutsche Bühne zwingen?
Eingestimmt auf den Abend wurde man seit Tagen. Elfriede Jelinek, die das Stück gemeinsam mit Karin Rausch neu, fast umgangssprachlich, übersetzt hat, gab Interview um Interview: „Wenn man die Geschichte Deutschlands und Österreichs sozusagen auf seinem Rücken trägt, muss einen Antisemitismus interessieren.“
Auch Burg-Schauspieler Gert Voss, sonst eher zurückhaltend, ließ von sich hören: „Jeder hat in sich das Fantasiepotenzial , das ihm die Vorstellung erlaubt, in einer extremen Situation einen anderen oder sich selbst zu töten“ („Die Zeit“).
Verstand und Klingen sind also geschärft für die Premiere. Zadek ist erprobt im Genre des jüdischen Lustspiels; unter anderem durch seine Inszenierungen des „Kaufmanns von Venedig“ mit Hans Mahnke (Bochum, 1973) und Gert Voss (Wien, 1988). Zadek, selber Jude, hat in seiner Karriere immer wieder die Herausforderung gesucht, sich mit dem „Klischeebild vom bösen Juden“ (Zadek) zu beschäftigen.
Spielort für den Zeremonienmeister Barabas ist eine mehrstöckige Konstruktion des Bühnenzaubermeisters und Zadek-Weggefährten Wilfried Minks. Durch das Anbringen von Kreuzen oder Judensternen verwandelt sich das Haus des reichen Juden zum Kloster und zurück. Durch die Drehbühne vermitteln sich immer neue Perspektiven auf die Spielorte.
Zadek hat dieses Massakerspektakel spielerisch, geradezu komödiantisch inszeniert. Gert Voss ist als Barabas eher Alleinunterhalter als Mörder, ein Mordskomiker, der mit der Macht und dem Publikum flirtet, es zu seinen Komplizen macht. Ausgestattet mit einem leichten Jiddeln und dem wiedererkennbaren Idiom eines Literaturkritikerpapstes, erobert Voss sich diese Aufführung. Ohne ihn ist der Balanceakt zwischen anti- und prosemitischer Interpretation undenkbar. Voss bleibt wieder unübertroffen darin, Zuneigung zu verlangen. Unterstützt vom Sklaven Ithamore (Uwe Bohm) werden Juden, Christen und Türken niedergemetzelt, als wäre das Ganze nur ein Partyspaß. Als solcher wurde das Projekt auch erwartet. Christine Kaufmann als Hure Bellamira nackt in allen Blättern, Peter Kern, der hingebungsvoll den Mönch Bernadine gibt, trugen ihren Teil dazu bei. Zadek bleibt insgesamt dennoch ernsthaft; er schreibt im Programmheft: ;,Barabas ist ein tragischer Rächer – mit einer Spannbreite von Komik bis Horror.“ Bis zum Schluss inszeniert er Barabas als Golem, der ewig unter uns weilt. Juden, Christen und Muslime heucheln, intrigieren und metzeln. Kein Gläubiger bleibt ungeschoren. Zadek liest ihnen die Leviten und nimmt es doch menschlich, fast leicht, was unter dem Eindruck der Ereignisse der letzten Wochen schwer wiegt. Aber Zadek tut das, was er immer getan hat. Er macht, was ihm gefällt, und lässt es darauf ankommen, dass es anderen gefällt – das nennt er den „Weg des lebendigen Theaters“, den er in diesen mörderischen Zeiten gefunden hat.
„Der Jude von Malta“
Das 1592 von Christopher Marlowe verfasste Stück spielt 1565 – Malta wird von den Türken belagert. Den Tribut für ihren Abzug holt sich der Gouverneur christlichen Glaubens bei der jüdischen Bevölkerung. Deren Sprecher Barabas weigert sich und wird enteignet, sein Palast wird zum Nonnenkloster. Seine Tochter Abigail schleicht sich bei den Nonnen ein, um aus dem Haus verstecktes Geld und Gold zu retten. Barabas, so wieder zu Geld gekommen, beginnt seinen Rachefeldzug. Der Sohn des Gouverneurs ist ein Verehrer seiner Tochter. Er wird zu einem Duell mit einem anderen Verehrer getrieben. Drahtzieher ist Barabas. Beide Duellanten sterben. Barabas erwirbt den Sklaven Ithamore, der im Folgenden sein Mordgehilfe wird. Die Nonnen im Kloster werden durch einen Giftanschlag ausgelöscht. Dabei stirbt Abigail, die sich vom Vater abgewendet hat. Im Vorübergehen werden zwei Mönche ermordet sowie der Sklave Ithamore und dessen Geliebte, die versucht haben, Barabas zu erpressen. Der Gouverneur von Malta hat beschlossen, gegen die Türken zu kämpfen, und Barabas schlägt sich auf deren Seite, um sich am Gouverneur zu rächen. Er öffnet den Türken die Stadttore, lässt sie triumphieren, um sich wieder mit den Christen zu verbünden. Eine Falle wird errichtet, in die Barabas vom neuen Komplizen, dem Gouverneur, getrieben wird. Barabas stirbt. Der Jude Barabas, der anfänglich nur seine privaten Geldgeschäfte im Auge hat, wird von Marlowe zur politischen Figur im Kampf der Mächte und Religionen. Als Prolog lässt Marlowe Macchiavelli auftreten, der Barabas als seinen Fan vorstellt. (Stromberg)