„Foul an der Mittellinie“. Interview mit Tom Stromberg und Michael Eberth, Szene 4/02
Interview mit Tom Stromberg und Michael Eberth. Fragen von Anne-Ev Ustorf und Christoph Twickel,
in: Szene Hamburg 4/02
Dank erfolgreicher Produktionen wie „Clavigo“ und „Leonce und Lena“ sitzt Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg nun fester im Sattel als vor einem Jahr. Doch was blüht dem Deutschen Schauspielhaus unter Schill, Horakova & Co? Szene Hamburg sprach mit Tom Stromberg und Chefdramaturg Michael Eberth über Startschwierigkeiten, Stadtpolitik und neue Projekte
Von Anne-Ev Ustorf und Christoph Twickel
SZENE HAMBURG: Herr Stromberg, Herr Eberth, warum läuft diese Spielzeit besser fürs Deutsche Schauspielhaus?
MICHAEL EBERTH: Dank der Erfahrungen aus der ersten Spielzeit konnten wir unsere Regisseure und unser Ensemble und deren besondere Talente besser ins Spiel bringen, und dadurch haben die Inszenierungen besser gezündet. Mit den Regisseuren Jan Bosse, Stefan Pucher, Jürgen Gosch, Ingrid Lausund, Sebastian Hartmann, Sandra Strunz, René Pollesch und den Briten Crouch und McDermott haben wir außerdem eine so reiche Palette an unterschiedlichen Erzählweisen am Haus versammelt, dass unser Angebot mehr Farbe und Kontur gekriegt hat.
TOM STROMBERG: Unsere Kommunikation mit den Medien in der ersten Spielzeit lief auch nicht so optimal. Wir haben der Öffentlichkeit wohl den Eindruck vermittelt, dass der Stromberg das Publikum ärgern will oder am Publikum absichtlich vorbeiproduziert. Genau das Gegenteil ist aber der Fall.
SZENE:Wie kommt das?
TOM STROMBERG: Es gab Interviews, in denen ich den einen oder anderen Satz vielleicht zu leichtfertig formuliert habe. Ich habe sicher auch viel zu viel gemacht, was Interviews angeht. In den letzten Monaten haben wir verstärkt die Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen in den Vordergrund gerückt. Das hätten wir von Anfang tun sollen.
SZENE: Werbeplakate mit dem Spruch „Sie verstehen ja auch sonst nicht alles“ helfen da nicht unbedingt …
TOM STROMBERG: Das war ein ironischer Kommentar zu den Ressentiments, die gegen unsere Arbeit kursieren. Aber man lernt natürlich auch mit dem Haus. Hier in Hamburg muss man pro Spielzeit zwei Produktionen wie den „Sommernachtstraum“ bringen, die ein breites Publikum ansprechen. Es muss aber im Spielplan auch Produktionen geben, die vom inhaltlichen und ästhetischen Ansatz her schärfer sind und die das Publikum fordern.
SZENE:Ihre erste Spielzeit fiel in die Aufwärmphase zum Hamburger Wahlkampf – wie war das?
TOM STROMBERG: Ich war das Ziehkind von Christina Weiss, ganz klar, und da ein Teil der Presse beschlossen hatte, dass Frau Weiss und ihre Regierung weg müssen, wurden die Dinge zusammengemixt. Christina Weiss hat zu mir gesagt: „Das Beste, was Ihnen passieren kann, ist, dass wir die Wahl verlieren. Dann werden Sie aus der Schusslinie geraten“. Das war schon furchtbar.
SZENE: Sind Sie denn nun aus der Schusslinie geraten?
MICHAEL EBERTH: Wenn wir nicht in den letzten Monaten mit einigen Produktionen kräftig gepunktet hätten, würden manche Kritiker sicher immer noch statt des Kugelschreibers die Klinge benutzen. Spätestens mit der Produktion „Push Up 1-3“ hat sich das erst mal erledigt. Ich bin aber sicher, dass die Messer geschliffen bleiben.
SZENE: Was hat die neue Regierung denn bisher von sich verlauten lassen?
TOM STROMBERG: Bei der Premiere vom „Sommernachtstraum“ war der halbe Senat da, um zu schauen, wie man diesem Theater gegenüber die Geschütze neu positionieren kann. Aber die Produktion war ein solcher Erfolg, dass die sich wahrscheinlich gedacht haben: „Im Augenblick geht’s sowieso nicht“. Was sollen sie tun?
SZENE:Kürzlich stand Ihr erster Termin mit der neuen Kultursenatorin an. Welchen Eindruck hatten Sie von Frau Horáková?
TOM STROMBERG: Wir haben ein erfrischendes und konstruktives Gespräch geführt. Nach allem, was ich von Frau Horáková bisher erlebt habe, schätzt sie die sportlich-spielerische Auseinandersetzung, und da sind wir uns sehr ähnlich. Das hat auch ihre Reaktion auf die Anzeige in der Morgenpost gezeigt. Sie hat es mit Humor genommen. Aber wir produzieren natürlich nicht nur solche Scherze. Politisch zeigt das Schauspielhaus eine klare und deutliche Haltung.
SZENE:Auf Ihrem Spielplan für die kommenden Monate stehen Werke wie „Biedermann und die Brandstifter“ in der Regie von Sebastian Hartmann und der „Roberto Zucco“ von Koltès. Inszenieren Sie sich mit diesem Programm als außerparlamentarische Opposition?
MICHAEL EBERTH: Das Theater ist nicht zuletzt dazu da, das Missvergnügen an gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu artikulieren. In dieser Stadt scheint es nur noch die eine politische Vision zu geben: das Bild zu schönen, das die Bürger von ihrer Stadt haben. Das wird sich eines Tages als bittere Täuschung erweisen.
TOM STROMBERG: Obwohl in dieser Stadt seit einigen Monaten wirklich einschneidende Dinge geschehen, gibt es noch immer keine funktionierende Gegenöffentlichkeit. Ein paar Zeitungen und Zeitschriften versuchen zwar, etwas dagegen zu setzen, aber verglichen mit der Lautstärke, mit der der neue Senat agiert, schallt es ziemlich leise zurück. Das finde ich überraschend. Hat man noch nicht bemerkt, was hier läuft, oder ist man in Hamburg genügsam geworden?
SZENE:Ist „Biedermann und die Brandstifter“ also auf die Stadt hin geplant?
TOM STROMBERG: Wir haben natürlich nicht vor, morgen eine Kopie von Herrn Schill auf die Bühne zu stellen. Es geht nicht um Tagespolitik. Aber bestimmte Themen bieten sich im Moment einfach an. Und wer Sebastian Hartmanns „Räuber“ gesehen hat, kann sich vorstellen, dass dieser Regisseur sich an dem reibt, was er um sich herum vorfindet, und dass er etwas dagegen setzen will. Auch der „Roberto Zucco“ von Koltès und Sarah Kanes „4.48 Psychose“ haben in der gegenwärtigen Situation eine besondere Brisanz.
MICHAEL EBERTH: Das Attentat auf die New Yorker Türme und der Hamburger Regierungswechsel, der damit in Zusammenhang steht, konfrontieren uns mit der Frage, was in der Welt aus dem Lot ist, dass es zu solchen Eruptionen von Terror und solchen Anfällen von Panik und Hysterie kommt, und so sucht man zwangsläufig nach Texten, in denen sich dafür Erklärungen finden. Als ich vor ein paar Wochen einem Instinkt folgend „Biedermann und die Brandstifter“ aus dem Regal zog, sprang mir etwas entgegen, was ich völlig vergessen hatte: dass es in diesem Stück einen Chor der Feuerwehrleute gibt, der nach antikem Muster die Stimme des Volkes zum Ausdruck bringt, wie die New Yorker Feuerwehrleute nach dem Attentat eine Art von vox populi Amerikas waren. Als ich dann auch noch las, dass die beiden Brandstifter in diesem Stück nicht als irre geleitete Weltverbesserer oder Revolutionäre zu verstehen sind, sondern dass Max Frisch in ihnen die Dämonen sieht, in denen dem Biedermann seine eigene Unwahrhaftigkeit gegenübertritt, war mir klar, dass die Trias Feuerwehr-Biedermann-Brandstifter eine Parabel für unsere gegenwärtige Situation ergibt: obwohl uns die Welt noch und noch Gründe dafür liefert, unsere bisherigen Gewissheiten in Frage zu stellen, tun wir so, als lasse sich mit einer Politik der „inneren Sicherheit“ aus der Welt schaffen, was uns missfällt. Weil wir nicht wahrhaben wollen, dass etwas im Umbruch ist, nehmen wir mit dem geschönten Bild vorlieb und lassen Polizisten paradieren, damit es uns keiner zerstört. Dabei sollte man sich grade jetzt nicht abschotten, sondern sollte sich den Herausforderungen stellen, die sich aus den jüngsten Irritationen ergeben. Man kann im Moment nichts Falscheres tun als zu behaupten, unsere aus der Balance geratene innere Ordnung lasse sich mit ein bisschen Geld und neuem Personal wiederherstellen.
SZENE: Spielen Sie damit auf die Drogen- und Dealerproblematik in Hamburg an?
MICHAEL EBERTH: Drogen sind immer ein Ausdruck von Unglück. Und auch das Unglück lässt sich nicht dadurch beseitigen, dass man sich’s aus den Augen schafft. Man muss dafür sorgen, dass die Gründe für dieses Unglück verschwinden. Das ist und bleibt die Aufgabe der Politik. Unser abendländisches Denken geht davon aus, dass sich die Dinge in dieser Welt zum Guten hin wenden lassen, und dass der Mensch läuterbar ist. Diese Vision ist aus der neuen Ordnungspolitik dieser Stadt völlig verschwunden. Damit wird ein Kernstück der christlichen Ethik aufgegeben: die Hoffnung, dass sich der Sünder, der verlorene Sohn, der Verunglückte auf den rechten Weg zurückführen lässt. Sich den Verunglückten aus den Augen zu schaffen bedeutet, ihn aufzugeben, und das ist ein barbarischer, Menschen verachtender Akt. Damit nähern wir uns amerikanischen Verhältnissen: immer mehr Polizei, immer mehr Gefängnisse, immer mehr staatliche Gewalt. In dieser Haltung zeigt sich ein absolut lebensgefährlicher Starrsinn. Wenn sich die Künste dann auch noch bereit zeigen, diese Verirrung mit dem Glanz von Events zu verschleiern, haben wir die Unwahrhaftigkeit, auf die uns Frisch in seinem Stück vom Biedermann und den Brandstiftern hinweist, wahrhaft in die Potenz gebracht. Wenn es also etwas gibt, wovor das Theater zu warnen hat, dann ist es diese Art Selbstbetrug.
SZENE:Das ist natürlich schwierig, wenn Politik und Medien so Hand in Hand greifen wie in dieser Stadt. Wenn die Springer-Presse sogar die Kultursenatorin stellt.
MICHAEL EBERTH: Ja, das macht natürlich die Aufgaben des Theaters nur noch dringlicher. Und natürlich wird es entsprechende Reaktionen geben, weil auch eine Medienmacht für ihre Sicht der Dinge und für ihre Sicht der Welt in den Kampf geht.
SZENE:Ihre Anzeige in der Mopo zur Begrüßung der Kultursenatorin war schon so eine kleine Kampfansage …
MICHAEL EBERTH: Nachdem wir zwei Monate lang keine Premiere hatten hielten wir den Einfall mit dem Terminkalender der neuen Senatorin für ein ideales Mittel, um darauf hinzuweisen, dass wir wieder präsent sind. Es wäre geradezu kontraproduktiv gewesen, eine so glänzende Idee in den Papierkorb zu werfen.
TOM STROMBERG: Falls Sie sich für Fußball interessieren: Das war ein Foul an der Mittellinie. Das wird weder mit rot noch mit gelb geahndet, sondern nur mit einem Freistoß. Aber das Revanche-Foul – das gibt gelb. Darauf warten wir noch.