Vorwort zu „Jan Lauwers & Needcompany: Sad Face / Happy Face, Eine Trilogie. Drei Geschichten über das Wesen des Menschen“ Frankfurt am Main 2008
Isabellas Zimmer – Der Lobstershop – Das Hirschhaus
Jan Lauwers` Feiern des Lebens
Zwei Kinder am Strand treten und schlagen sich ungeheuer brutal. Die Erwachsenen schauen zu. – Filmeinblendung in „Der Lobstershop“.
Axel und Theresa verlieren ihren Sohn durch einen Unfall am Strand. Nach diesem Schicksalsschlag sieht Axel eines Tages keinen anderen Weg mehr als ins Meer zu gehen. Er zieht seinen besten Anzug an, geht ein letztes Mal in sein Lieblingsrestaurant „Lobstershop“ und bestellt sich einen letzten Hummer. Aber der Kellner stolpert und Hummer und bretonische Sauce landen auf Axels weißem Anzug… Sein sorgfältig geplantes Ritual zerbricht vor seinen Augen in einer einzigen Sekunde. Alles ist plötzlich ganz anders und überraschend wieder offen…
Diese für Jan Lauwers und die Needcompany ganz typische Entwicklung einer Situation weckt meine Erinnerung daran, wie ich Jan Lauwers und seine Theaterarbeit vor über zwanzig Jahren in Amsterdam kennen gelernt habe. Und wie die Aufführung an diesem Abend 1987 plötzlich alles in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ.
Von Frankfurt aus unternahm ich mit meiner damaligen Freundin – nennen wir sie Brigitte – und ihren beiden Töchtern im zarten Alter von 4 und 6 eine Autoreise nach Amsterdam. „Mal raus“ nennt man Grund und Motiv für solch einen Ausflug. Ein zwiespältiges Vergnügen: Es war heiß – stickig – die Straßen voller Staus. Als wir am frühen Abend endlich in Amsterdam ankamen, gab es kein Hotelzimmer – gar keins. Die Portiers lächelten müde über uns, die Kinder motzten und kotzten auf dem Rücksitz, das Paar auf den Vordersitzen stritt. Als wir endlich ein Zimmer gefunden hatten, viel zu teuer, musste ich erstmal raus: Ich geh mal um die Ecke, Nerven beruhigen…
Nach kurzer Zeit stand ich vor einem Theater – wo sonst. Vor dem Mickery Theater Amsterdam, der Legende der 70er Jahre unter der Leitung von Ritsaert ten Cate, mit der Ankündigung: „Need to Know“ von der Needcompany. Und war total fasziniert von der Kraft dieser Company, ihrer Spiellust, ihrem Spaß auf der Bühne, von den Wegen, Umwegen und Irrwegen, die die Geschichten von Jan Lauwers auf die Bühne zaubern.
Sechs Monate später war die Produktion bereits in Frankfurt an „meinem“ TAT zu Gast. Es folgten bisher 20 Jahre Zusammenarbeit – danke, Brigitte.
Zwei Jahre später entwickelte die Needcompany ihr erstes Stück im TAT – „ça va“ – dem noch viele folgten.
Trotzdem ist mein liebstes Stück der Needcompany keines aus der TAT-Zeit, sondern „Isabellas Zimmer“, Teil 1 der Trilogie dieses Buches.
„Isabellas Zimmer“ ist Jan Lauwers` absolutes Masterpiece, für mich das beste, allerbeste, der vergangenen 20 Jahre, in denen ich alle seine Arbeiten gesehen habe. Arbeiten mit wunderbaren Szenen wie in Needcompanys Version von Shakespeares „Julius Caesar“: Männer auf Schaukelpferden, von denen immer wieder welche sterben und die Bühne verlassen – um gleich darauf wiederzukehren.
Oder „Needcompany`s King Lear“. Tom Jansen, du Schauspielergott. Und Viviane De Muynck, du Zauberspielerin, und Johann Leysen und Grace Ellen Barkey und….
Dennoch bleibt „Isabellas Zimmer“ einzigartig für mich, besonders weil die Performer dieses Stückes hier so ganz unglaublich sind: Viviane De Muynck, Anneke Bonnema, Benoît Gob, Hans Petter Dahl, Maarten Seghers, Julien Faure, Louise Peterhoff, Tijen Lawton, Misha Downey.
Sie erzählen eine Geschichte, die ihren Ursprung hat in der persönlichen Auseinandersetzung Jan Lauwers`mit dem Tod seines Vaters. Der Vater sammelte afrikanische Kult- und Kunstgegenstände und so wird „Isabellas Zimmer“ nicht nur ein Stück über den Tod und die Generationenfolge, sondern auch über Hunger und Kolonialismus in Afrika, über das Reisen und das Fernweh, über Sex und Vergänglichkeit.
Und das Titellied dieser Inszenierung wird für immer bleiben. Summen wir es für einen Moment zusammen:
(hier die noten)
Die Salzburger Festspiele zeigen 2008 alle drei Stücke der in diesem Buch versammelten Trilogie. Wir werden also endlich alle drei Arbeiten gemeinsam sehen können – zwei bereits aufgeführte und die Uraufführung von „The Deer House“ („Das Hirschhaus“) – Zusammmenhänge in den Geschichten konstruieren und dekonstruieren, Schauspieler sich verwandeln sehen, ein großes Theaterfest miterleben.
Ich freue mich sehr, dass man mit diesem Buch die drei Stücke nun in Ruhe lesen kann, aber die wahnsinnige Energie, Lebendigkeit und Sensibilität der Needcompany sind natürlich vor allem auf den Bühnen der Welt zu spüren. Dort sind ihre Stücke nicht nur Theateraufführungen, sondern Partys, Abschiedsfeiern, Trauerfeiern, Lustorgien, alles zusammen. Lassen sie uns mitfeiern, mitvögeln und mittrauern mit diesen herrlichen Performern und ihrer Feier des Lebens und des Todes.