„Ein Stück Fleisch“. Tom Stromberg zu Peter Zadeks 80. Geburtstag. Frankfurter Rundschau, 19. Mai 2006
Lieber Peter,
neulich nachts in Deinem Haus in Lucca aßen wir Schokolade und versuchten unsere gemeinsame Zukunft zu ordnen. Du hattest Dich von einer Lungenentzündung nicht genügend erholt und fühltest Dich erschöpft. Die Auftaktpremiere unserer gemeinsamen Produktionsgesellschaft – Shakespeares Was ihr wollt – musste verschoben werden. Jetzt will ich es Dir gestehen: Um Dir Mut zu machen, ging ich kurz raus und – kam in Gestalt einer alten jüdischen Wahrsagerin wieder. Sie beugte sich über Deine Hand, zog sie dicht an ihre alten Augen und begutachtete die Linien. Ja, was man nicht alles tut für den Meister… Und siehe da, Deine Lebenslinie war lang und stark, stand für Vitalität, Kraft und Gesundheit. Länger als meine…
Ich will hier nicht Deine großen Erfolge herunterbeten. Nur so viel: Mich hat als Dein Nachfolger am Hamburger Schauspielhaus immer Deine dortige Intendanz in den Achtzigern besonders fasziniert. Super, wie Du vorab 1976 schon mal die „Honoratioren“ verschreckt hast mit Deinem rasenden, abfärbenden Wildgruber-Othello. Und wie Du mit dem Musical Andi und den Einstürzenden Neubauten die jungen Leute ins Haus geholt hast. Natürlich hast Du die Provokation auch um ihrer selbst willen geliebt (Flipperautomaten im Foyer des ehrwürdigen Kunsttempels) – kann ich gut verstehen. Aber Du wolltest eben die Kunstform Theater rausholen aus ihrem Schmollwinkel gutbildungsbürgerlicher Enge. Das haben manche bis heute nicht verstanden, und so verbindet uns beide das Scheitern an der großen Institution Schauspielhaus. Alle Eintrittskarten wolltest Du zum gleichen niedrigen Preis verkaufen, erschwinglich für junge Leute und welche mit weniger Geld. Das hätte ich auch so gemacht – wenn es nicht schon Deine Erfahrungen gegeben hätte mit den Hütern der Institution und des müden Friedens. Man könne nicht gut situierte Zuschauer verprellen, hieß es. Auch ich habe noch Ärger bekommen, weil wir viele Karten zum ermäßigten Tarif an Schüler und Studenten verkaufen konnten. Ein Wechsel auf die Zukunft – abgelehnt. Wahnsinn.
Also, Sympathie und Humor verbinden uns, und beide haben wir Lust, unsere Erfahrungen mit jungen Theaterleuten zu teilen, auch wenn unsere Vorstellungen von gutem Theater nicht immer die gleichen sind. Ich denke da nur an unsere lange Diskussion über Stefan Puchers Othello, den Du bei uns letztes Jahr, in Deiner alten Lieblingsloge sitzend, gesehen hast.
Dass Stefan Puchers Jago ein Geschäftsmann ist und kein Soldat, das hättest Du verhindert. Aber Du weißt ja selbst, Theaterleute lassen sich nicht beraten… Und Alexander Scheer als Othello sah sehr schneidig aus in seiner Uniform, wie er da militärisch zu Dir in die Loge hinaufgegrüßt hat! Selbst ein Pazifist wie Du konnte da nicht widerstehen und musste zackig zurückgrüßen… Ja, und der Ausdruck der Eifersucht war auch so ein Thema. Für Dich war es ganz wichtig, Shakespeare aus diesem ganzen bürgerlichen Denken wieder zurück zur Sinnlichkeit zu führen. Wildgruber am Wüten schockierte damals das Hamburger Publikum entsprechend. Oder Heinrich Gieskes als Jago mit lüsterner Hand in der Unterhose, Eva Mattes‘ Desdemona im Bikini, Fähnriche, die an die Hauswand pinkeln… Puchers Othello ist dagegen ein durchmedialisierter Held, der seine Gefühle mit Eminem ausdrückt. Eine gänzlich andere Position – und so blieb bei uns auch das Schwarz dran.
Auch wenn Du mit der Inszenierung nicht einverstanden warst, das Gespür für Erfolg hast Du bei Deinen Schauspielhaus-Besuchen von Othello und Faust I gehabt. You smell success, mein Lieber …
Im vergangenen Monat hat unsere gemeinsam gegründete mobile Akademie für Theaternachwuchs ihre Arbeit aufgenommen – wegen Deiner Erkrankung leider ohne Dich. Wir haben mit den Studenten in Berlin Deinen Peer Gynt gesehen und hoffen auf einen Hamlet-Workshop mit Dir im Herbst – die Akademie als Immunsystem gegen das Älterwerden. Und dann geht’s gemeinsam an Was ihr wollt. Wenn ich daran denke, wie viele Ideen Du und ich bisher schon für Was ihr wollt entwickelt hatten… Ich fürchte mich schon vor all den neuen, die Dir noch einfallen werden in der Vorbereitungszeit!
Premiere ist jedenfalls zu Deinem nächsten Geburtstag bei den Wiener Festwochen – auch keine schlechte Adresse. Und zwinge mich nicht dazu, als Kaufmann ein Pfand darauf zu nehmen wie Shakespeares Shylock. Mit Der Kaufmann von Venedig kennst Du Dich ja bestens aus, ich erinnere mich immer wieder gern an Deine großartige Wiener Inszenierung mit Gert Voss. Premiere oder ein Stück Fleisch, heißt es dann!
Und weil Was ihr wollt im nächsten Jahr eine grandiose Premiere erleben wird und Du Dein Fleisch behältst, habe ich unsere Firma im Handelsregister neu eintragen lassen als: wasihrwollt PRODUCTIONS.
Dein Kaufmann Tom Stromberg
P. S. Natürlich ist zum Geburtstag ein dickes Nachschubpaket Deiner Lieblingsschokolade von Chocolatier „Erich Hamann/Bittere Schokoladen“ unterwegs zu Dir. Deine Produktionsleiterin Christine Kammer und ich kennen doch Deine Vorliebe für die gute Berliner Schokolade, die Du schon als Kind vor der Emigration so gern gegessen hast.
Der Regisseur Peter Zadek
Peter Zadek wurde 1926 in Berlin geboren, 1933 emigrierte die jüdische Familie nach London, 1958 kehrte Zadek zurück nach Deutschland. Wie kein anderer Regisseur hat er seitdem das ins deutsche Theater gebracht, was man am besten „Leben“ nennt. Dazu sprengte er das Theater oder besser seine Formen, dazu sucht er aber auch in den außerordentlichen Schauspielern, die er um sich versammelt, die Figur und den Menschen. Und zwar einen Menschen, der kein Klischee, sondern wie das Leben ist.
Legendär sind seine Shakespeare-Inszenierungen „Maß für Maß“ (1960), „Der Kaufmann von Venedig“ (vier mal zwischen 1961 und 1988), „Othello“ (1976), „Hamlet“ mit Angela Winkler (1999), aber auch Tschechows „Iwanow“ und „Der Kirschgarten“, Ibsens „Baumeister Solness“ und „Rosmersholm“ (2000) oder Wedekinds „Lulu“ mit Susanne Lothar (1988).
Mit Tom Stromberg, unserem Briefschreiber, der wie Zadek Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg war, verbindet ihn eine späte Freundschaft. Gemeinsam haben sie die Produktionsgesellschaft „mywayPRODUCTION“ gegründet, die als erste Premiere „Was ihr wollt“ herausbringen sollte, was für dieses Jahr an Zadeks Erkrankung scheiterte. Das Buch „Peter Zadek His Way“ ist gerade von Klaus Dermutz herausgegeben worden (Henschel Verlag, 24,90 Euro). alz
Frankfurter Rundschau, 19. Mai 2006