„Keiner redet vom Geld. Er schon“ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14. April 2014

Veröffentlicht von Thomas am

Der Theatermacher Tom Stromberg betreut die Finanzen anderer Theatermacher. Die verdienen dann mehr als der Rest der Branche. Wie schafft er das nur? Und was verdient man eigentlich so an der Bühne?

VOLKER CORSTEN

Geld und Kunst haben kein Verhältnis, sagt man, jedenfalls kein gutes, schon gar nicht am Theater, wo die Krise systemimmanent ist. Gerade weil immer etwas fehlt, weil man so sehr am Tropf der Subventionen und Fördertöpfe hängt, ist wohl nirgendwo das Verhältnis zum Geld so allgemein gestört wie hier, wird nirgendwo so manisch darüber gestritten. Jeder Kapitalismuskiesel wird auf der Bühne umgedreht, am besten mehrfach. Nirgendwo wird es stiller, wenn es persönlich ums Geld geht, wenn die Frage gestellt wird, wer was verdient. Nicht einmal Regisseure, also die, die so gern über das Kapital auf der Bühne verhandeln lassen, wissen genau, wie hoch ihr eigener Preis ist.
Oder besser: Wie hoch er sein könnte. Die Regisseurin Jette Steckel, damals gerade 29 Jahre alt, erzählte einmal im Interview mit dieser Zeitung, sie habe aus Neugierde und weil sie vor Verhandlungen einfach unsicher gewesen sei, ein paar etwa gleichaltrige Kollegen angerufen und gefragt, was sie pro Inszenierung denn verdienten: „Dabei kam heraus, dass die Männer besser bezahlt werden und zudem noch alles Mögliche zusätzlich aushandelten.“ Und dann fügte sie noch grinsend einen Satz hinzu, der damals nicht in der Zeitung stand: „Aber am besten verdienen die, die Tom Stromberg vertritt.“
Jeder, mit dem man über Stromberg redet, sagt, dass der Mann eine einzigartige Figur ist. Sein Verhandlungsgeschick gilt am deutschsprachigen Theater als legendär. Wenn man Tom Stromberg in dessen Büro in einem Hinterhof in Prenzlauer Berg in Berlin besucht und ihn fragt, wie er denn am besten seinen Beruf beschreiben würde, macht er erst mal eine Kunstpause. Und sagt dann: „Am besten gefällt mir ganz altmodisch das Wort Impresario.“
Altmodisch, das passt zunächst so gar nicht zu Tom Stromberg. Als Intendant, Anfang der neunziger Jahre am Frankfurter „Theater am Turm“ und ab 2000 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, war er ein Förderer von allem, was irgendwie jung war und formal anders aussah, was nach Avantgarde roch und sich „performend“ auf die Bühne wagte. Strombergs zweite Rolle, die sich seltsamerweise nie mit der ersten biss, war die des umtriebigen Machers: Als er zwischendurch das Kulturprogramm der Expo 2000 in Hannover leitete, war er vielen Theatermenschen allein schon deswegen verdächtig, weil er bereits zu einer Zeit, als das noch nicht üblich war, ständig ein Handy am Ohr hatte – und noch ein zweites sichtbar vor sich liegen.
Das Altmodische passt aber dann doch wieder ganz gut zu Stromberg, nicht nur, weil er am Morgen unseres Treffens wie eigentlich immer in Künstlerschwarz gekleidet ist. Es passt auch, wenn man sich die Namen seiner „Klienten“ anschaut, die er extra für den Besuch mit Kreide auf einen grünen Fries geschrieben hat, der hoch oben rund um das Besprechungszimmer läuft. Die Namen verraten vor allem Treue, zu Personen und ihren Regiehandschriften, denn es sind viele „Kumpels“ (Stromberg) dabei.
Etwa der von Stefan Pucher, mit dem alles anfing, weil Pucher irgendwann sein Leben nicht mehr geordnet bekam, was Stromberg dann übernahm. Auf der Tafel steht auch der Name von Jan Bosse, der das sah und irgendwann meinte, er sei ein wenig neidisch. Und dort steht auch der von Laurent Chétouane, neben Pucher und Bosse der dritte wichtige Regisseur aus Strombergs Hamburger Zeit, die in den ersten beiden Jahren eine einzige Katastrophe war, aber – nach nur einer Amtszeit – damit endete, dass Stromberg 2005 vom lokalen Privatsender zum „Hamburger des Jahres“ und sein Theater von Kritikern zum „Theater des Jahres“ gewählt wurde.
Elisabeth Plessen, die Schriftstellerin und Witwe von Peter Zadek, mit dem Stromberg eine Produktionsfirma gründete, aus der durch Zadeks Erkrankung (und den späteren Tod) aber nie recht etwas wurde, erklärt sich die Nehmerqualitäten Strombergs so: „Tom ist wie eine Katze, die immer wieder auf die Füße fällt.“
Stromberg vertritt mehr als zwei Dutzend Theaterleute, es sind Jungstars wie Anna Bergmann oder Antú Romero Nunes, Entertainer wie Studio Braun, Bühnenbildner wie Stéphane Laimé oder die Kostümbildnerin Victoria Behr, die die grandios-schrillen Kostüme für die Inszenierungen von Herbert Fritsch entwirft. Dazu ein gewisser, noch weitgehend unbekannter Regisseur namens Pedro Martins Beja. Wie er auf so jemanden komme? Von Beja habe er sich eine Inszenierung angeschaut, die in einem Vorort von Osnabrück in einer Kaserne gezeigt wurde. „Um mich zu überzeugen, genügen zehn wirklich tolle Minuten auf der Bühne. Die habe ich am Anfang gesehen, der Rest damals war grauenhaft.“
Und wie hat er den Tipp bekommen, nach Osnabrück zu fahren? „Ich glaube nicht, dass mir jemand wirklich Begabtes entgeht. Das Angebot ist nicht so groß, das Radar läuft ständig.“ In diesem Fall habe er erfahren, dass Beja an der Ernst-Busch-Schule in Berlin verboten worden sei, am allgemeinen Unterricht teilzunehmen – und wer an der Ernst-Busch Probleme bekäme, der sei für ihn per se interessant: „Das spricht übrigens nicht gegen die Ernst Busch-Schule und ihr striktes System, sondern für sie.“

Stromberg ist ein Solitär, aber nicht allein in seiner Sparte. Es gibt einen Berliner Anwalt, Klaus Kummer, der ein paar Bühnenund Kostümbildner vertritt; es gibt Corinna Brocher, die mal beim Rowohlt-Verlag war, früher Luc Bondy vertrat und mittlerweile die Dinge exklusiv für den Regisseur René Pollesch regelt. Es gäbe überhaupt die Tendenz, dass immer häufiger Mitglieder des sogenannten „Leading Teams“, also Regisseure, Bühnenbildner, -musiker oder Videokünstler, sich bei den Verhandlungen durch Agenten vertreten ließen, sagt Joachim Lux, der Intendant des Hamburger Thalia-Theaters. Und fügt – Stromberg explizit ausnehmend – hinzu: „Wir begrüßen das nicht!“
Man sei aber zum Glück weit entfernt von dem, was bei Schauspielern heute üblich sei. Jede Schauspielschülerin komme ja mittlerweile mit einem Agenten an, sagt auch Ulrich Khuon stöhnend, der Chef des Deutschen Theaters in Berlin. Schauspieleragenten sind bei Intendanten auch deshalb wenig geliebt, weil sie fast immer vom Film kommen – und den Intendanten eines Ensembletheaters ständig mit Fernsehoder Filmangeboten und damit Drehterminwünschen kommen, die den Spielplan zerschießen. Es gäbe nicht viele Agenten wie Stromberg, meint Lux. Die meisten seien schlicht Geschäftsleute, Handlungsbeauftragte der Schauspieler, ohne tieferes
Verständnis fürs Theater, und versuchten aus den ohnehin schmaler werdenden Budgets der Theater einen möglichst großen Kuchen rauszuschneiden.
Wie notwendig sind Agenten denn generell? An der Frage scheidet sich alles: Auf der einen Seite steht Jette Steckel (die nicht von Stromberg vertreten wird) mit den Erkenntnissen aus ihrem Rundruf, oder ihre Kollegin Anna Bergmann, die in der „Süddeutschen“ sagte: „Ich habe viel weniger verdient, bevor Tom Stromberg meine Verträge verhandelt hat.“ Auf der anderen stehen Intendanten wie Lux oder Khuon, die darauf bestehen, dass an ihren Theatern, wenn es ums Geld geht, alle gleich behandelt würden, Männer wie Frauen, Regisseure wie Regisseurinnen, Tom-Stromberg-Schützlinge wie solche, die es nicht sind.
„Das ist natürlich nicht so“, sagt Stromberg.
Um überhaupt zu wissen, um was es geht, eine kurze Nachfrage bei Joachim Lux: Wie hoch ist die Gage für einen Regisseur am Thalia-Theater? Ebenso kurzes Zwiegespräch von Lux mit seinem kaufmännischen Geschäftsführer Ludwig von Otting, ob er überhaupt Zahlen nennen dürfe, schließlich wolle dann jeder die Höchstgage. Otting gibt sein Okay. Lux sagt: „Bei uns bekommt ein Regisseur zwischen achttausend und 32 000 Euro.“ Und wonach bemisst sich die Höhe der Gage? Lux: „Kleine oder große Bühne, kleine oder große Produktion und natürlich“ – wer sagt es denn – „Marktwert des Regisseurs.“
Die Spitzengage in der Branche, jedenfalls, als die Welt noch in Ordnung war, gab es naturgemäß am Burgtheater: von sechzigtausend Euro für eine Inszenierung auf der großen Bühne ist die Rede. Der entlassene Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann, auch das zementierte seinen Ruf als arg „gierig“, ließ sich am Ende jede seiner vielen eigenen Inszenierungen mit jeweils 52 500 Euro zusätzlich zu seinen Direktorenbezügen bezahlen.
Über Geld zu verhandeln, betont Tom Stromberg wieder und wieder, sei tatsächlich nur ein kleiner Teil seiner Arbeit. Ihn mache beim Gehalt eher die Diskrepanz zwischen dem „wahnsinnig“, was Bühnenbildner (zehnbis zwanzigtausend Euro, manche auch noch mehr) und Kostümbildner verdienten (ein Drittel weniger, vielleicht, weil es fast alles Frauen sind?). Bei der Gage gebe es am Theater aber einfach Höchstgrenzen, sagt Stromberg. Sicher, man könne dann noch eine schönere Wohnung verhandeln für die Zeit der Proben, dazu ein, zwei Reisen und die Übernahme von Taxiquittungen: „Aber dann ist auch Schluss!“
Bis auf Stefan Pucher, der in seiner Regisseurswohnung immer einen Flatscreen braucht, so groß wie die Wand, um sich nachts seine Serien auf DVD anzuschauen, habe auch keiner seiner Leute große Extrawünsche. Wenn man sich mit Tom Stromberg länger unterhält, dann wird auch deutlich, warum selbst ein Kontrollfreund wie Ulrich Khuon, den es anfangs „stark irritierte“, statt mit dem Regisseur Pucher oft mit dem Agenten Stromberg über Stück und Besetzung zu reden, sich an diese Konstellation gewöhnt hat. Ein Fachblatt hat Stromberg mal einen „Geheimdramaturgen“ genannt, eine Bezeichnung, die ihm in beiden Teilen des Wortes noch heute gut gefällt. Denn das „Büro Stromberg“ bietet im Stillen Leistungen, für die Dramaturgen und Intendanten am Theater selbst immer weniger Zeit haben: Stoffe finden, neue Stücke lesen und bewerten, Rechte an Filmen, an Romanen, an Musik klären.
„Wir machen alles in enger Abstimmung mit den Theatern“, sagt Stromberg. „Wir überlegen etwa zusammen mit dem Thalia-Theater, ob Antú Romero Nunes, der ja keine Lust auf klassische Dramen hat, nicht nach dem ,Moby Dick‘ dort als Nächstes – Bad Segeberg ist nicht weit – ,Winnetou I und II‘ machen soll.“ Es geht bei Stromberg also, ganz nüchtern betrachtet, um Karriereplanung: Schadet es jemandem, eine Oper in Klagenfurt zu machen? Kann man noch am desolaten Düsseldorfer Schauspielhaus arbeiten? Und wie sieht überhaupt der nächste Schritt aus, der ja auch immer der falsche sein kann: „Sehen Sie sich den Fußballer Lewis Holtby an: Jung, talentiert, wechselte von Schalke in die Premiere League zu Tottenham und träumte von der WM. Jetzt ist er leihweise beim Tabellenletzten in Fulham gelandet und schleppt Medizinbälle für Felix Magath.“
Der Abstieg lauert überall, soll das wohl heißen. Und jeder Schritt sollte mehr als genau überlegt sein. Antú Romero Nunes, begehrtester Klient des Impresarios Tom Stromberg, wird etwa, wie dann auch Joachim Lux bestätigt, ab kommender Saison für drei Jahre als Hausregisseur fest ans Hamburger ThaliaTheater gehen. Weil sich dort nach Strombergs Gefühl „eine besondere Energie“ zwischen Regisseur und Ensemble entwickelt habe – und weil das Talent nach vier Jahren, in denen es nur unterwegs war, auch ein wenig zur Ruhe kommen müsse.
Ruhe ist etwas, das Stromberg für sich gerade eher nicht vorgesehen hat. Eigentlich könne er niemanden mehr dazunehmen, sagt er. Pause. Lächeln. „Mittlerweile bekommen wir Blindbewerbungen.“

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