„Wirtschaftsfuzzis“ haben genervt Neue Presse 27. Mai 2020

Veröffentlicht von Thomas am

Er hat das Kulturprogramm der Expo 2000 gemacht: Tom Stromberg, Theatermacher aus Frankfurt, später Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, erinnert sich an harte Zeiten und große Momente.

Herr Stromberg, 20 Jahre, wie erinnern Sie sich heute an die Expo?

Es gab eine lange Zeit in meinem Leben, da habe ich das ausgeblendet und verdrängt – weil mich im nachhinein so viele Sachen genervt haben, diese ganzen Unternehmensberater, denen alles zu teuer war, diese Wirtschaftsfuzzis, die einem die Kultur ausreden wollten. Aber seit ein paar Jahren habe ich ein Archiv aufgebaut, in alte Programme geguckt – und da merkt man schon, welche Dinge wichtig geblieben sind und welche Menschen einem teuer geworden sind.

Was war die Expo in der Rückschau eigentlich, Party, Messe, Kultur-Event?

Besuchermäßig war das ein Flop. Vielleicht, weil des Thema zu sperrig und zu früh war. Wenn man sich beispielsweise die Künstler anschaut, die hier gearbeitet haben – man würde es heute anders bewerten, wenn man darauf zurück schaut.

Wie haben Sie auf Hannover geguckt – hat sich die Stadt verändert?

In den letzten Jahren war ich zu selten in Hannover. Als ich damals ankam, war ich sehr positiv überrascht. Mit Ulrich Khuon war ein sehr kluger Intendant am Schauspielhaus zugange. Sprengel Museum, Kestnergesellschaft und Kunstverein hatten sehr fähige Leute an der Spitze.

Was war für Sie das schönste Ereignis?

Ich finde diesen Rundgang „In between Architecture“ mit vielen Künstlern, die heute zu den ganz Großen gehören – über das Gelände gehen von Kunstobjekt zu Kunstobjekt zu wandeln. Und dass es das Festival Theaterformen, das wir damals initiiert haben, heute noch gibt.

Eigentlich müsste jetzt ja der komplette 23-Stunden-„Faust“ von Peter Stein kommen, zählen Sie den nicht dazu?

Auf keinen Fall.

Nanu?

Die Zusammenarbeit mit dem Regisseur war grausam. Und letztlich, dass man etwas künstlerisch ganz Herausragendes erwartet hatte, das war es dann noch nicht, etwas langweilig. Das lag sicher auch daran, dass Bruno Ganz damals ausfiel. Soll ich da noch ein kleines Geheimnis verraten?

Ja, bitte…

Ich habe den „Faust“ nicht einmal komplett gesehen – ich bin immer irgendwann rausgegangen, bin eingeschlafen oder habe sonstwie diese Stunden versäumt.

Wo wir gerade dabei sind, was war das größte Desaster?

Der Umzug der französischen Theatertruppe durch Hannover, die ganz unbedacht auf das jüdische Mahnmal stiegen und bei denen dann auch noch durch unglückliche Schweißperlenverläufe die Schminke an der Oberlippe auf einem Foto wie Hitlerbärte wirkten – die ganze Truppe einschließlich meiner Wenigkeit wurden wegen Schändung des Mahnmals noch auf die Polizeiwache zitiert – und das bei mir als in einer jüdischen Familie Aufgewachsenen…

Und dann war da eigentlich auch noch die Sache mit dem von der Musikkritik hoch gefeierten Kraftwerk-Song …

Was war das für ein Riesenkrach damals, als Sigmar Gabriel deswegen meinen Rücktritt forderte, nur weil wir Kraftwerk einen Jingle-Auftrag gegeben haben. Völlig absurd in der Nachbetrachtung.

Nun sind Sie ja der einzige Mensch auf der Welt, der Kraftwerk einen Auftrag gegeben hat. Wie lief das?

Ich habe die nie getroffen. Man konnte ihnen nur schreiben. Dann gab es einmal einen Anruf, dass ich doch bitte nach Düsseldorf kommen soll. Dann setzt mich jemand in ein Auto mit einer fantastischen Stereoanlage und fuhr mit mir durch Düsseldorf – und ich hörte dabei den Expo-Jingle. Vielleicht saß einer der Kraftwerk-Jungs vorne auf dem Beifahrersitz, er stellte sich mir jedenfalls nicht vor – ich sollte dann irgendwann hinterher sagen, ob es mir gefallen hat. Dann wurde ich wieder abgesetzt und konnte mich dazu verhalten.

Mit der negativen Reaktion danach haben Sie auf keinen Fall gerechnet?

Auf keinen Fall. In der Disko war der Jingle dann ja als Tanzversion unter den ersten Plätzen. Und danach kam Gerhard Schröder zu mir und schlug die Scorpions vor … die kommen aus Hannover, lass dir was einfallen. Dann gab es den „Moment of Glory“.

Was hätten Sie in Sachen Expo anders gemacht?

Mit dem geschätzten und leider verstorbenen Martin Roth hatte ich darum gekämpft, dass das Thema der Kultur mehr Gewicht bekommen sollte. Das ist uns nicht im gewünschten Maße gelungen, da hätte man mehr Kraft gebraucht.

Was haben Sie von der Expo gelernt?

Einen Crashkurs im Bekanntwerden. Ich war erst Intendant eines kleinen, feinen Avantgarde-Theaters in Frankfurt und hatte hier nun ein Weltereignis. Ich habe gelernt mit sehr viel Geld umzugehen – von sieben auf mehr als 100 Millionen.

Was machen Sie heute?

Ich habe eine Agentur. Ich vertrete Regisseure, Kostümbildnerinnen, Bühnenbildner, Musiker für das gesamte deutschsprachige Theater. Ich unterrichte an verschiedenen Hochschulen. Ich lebe in Berlin.

Was könnten Sie verraten, was mittlerweile verjährt ist?

Ich habe illegal auf dem Expo-Gelände gewohnt. Wir hatten auf dem Gelände ein temporäres Theater gebaut – und da hatte ich zwei geheime Segmente dranbauen lassen.

Würden Sie nochmal Expo machen wollen?

Nein. Es gab mal ein Angebot, in einem anderen Land den deutschen Pavillon zu machen – ich habe in meinem ganzen Leben Dinge nie zweimal gemacht.

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