Reise durch ein bizarres Theaterland“. Der Westen. Portal der WAZ Mediengruppe, 26. November 2007

Veröffentlicht von Thomas am

VON RAINER WANZELIUS 

Zwei gelbe Autobusse steuern durch eine bizarre Theaterlandschaft. Trotz Navigators haben die Fahrer Mühe, ihre Passagiere ans Ziel zu bringen. …

Denn die Bühnenhäuser, in denen das Festival „Impulse“ spielt, sind meist nicht die mit den bequemen Vorfahrten. „Marathons“ und „Halbmarathons“ nennen die Festivalveranstalter im NRW-Kultursekretariat ihre Reiseangebote, mit denen sich bis zu vier Stücke an einem Tag erreichen lassen. Und das alles, bewiesen die ersten Touren, relativ unangestrengt. 

Allerdings sind die Marathons auch ein Sinnbild für die komplizierte Situation, in der sich das Festival der freien Theater befindet. Es finanziert sich nicht zuletzt aus den Zuschüssen der beteiligten Städte, also möchten diese Städte die „Impulse“ auch „bei sich“ haben. Das zersplittert die Veranstaltung, macht den Einsatz von Bussen erforderlich. „Natürlich wäre es übersichtlicher und einfacher“, so Matthias von Hartz, „wenn sich die Aktivitäten auf einen Ort konzentrieren könnten. Aber die Förderstrukturen sind nicht so.“ Von Hartz bildet mit Tom Stromberg das Festival-Leitungsteam. 

Wer im Bus mitfährt, hat nicht die Qual der Wahl. Dafür wird er schön durchgeschüttelt – künstlerisch. Erster Eindruck: Man kann alles auf die Bühne zerren, jede Menge Müll und Lückenfüller, das große Unvermögen und ganze Besuchergruppen (die natürlich gecastet sind). Eine Schauspielerin spielt, in dieser „Relevanz-Show“ von „She She Pop“, eine Schneeflocke – schlicht, weil sie eine Schneeflocke spielen möchte. Bis sie vom Staubsauger von der Bühne gepustet wird. Ein tieferer Sinn? Doch ja. Eben der, dass sich die Sinnfrage stellt. Dass der Ernst im Unernst erkannt wird. Vom Publikum wird die Antwort auf die Frage erwartet: Was war wirklich wichtig in den letzen 24 Stunden? Ja, was? 

Dann, spät in Köln-Ehrenfeld, öffnet und schließt sich mit viel Getöse eine U-Bahn-Tür. In David Martons „Fairy Queen oder Hätte ich Glenn Gould nicht kennen gelernt“ treffen neun Musiker aufeinander, die alle einen Wunsch und einen Text von Thomas Bernard im Kopf haben: Sie möchten Henry Purcells „The Fairy Queen“ aufführen. Die Aufführung entsteht, indem sie nicht entsteht. Und mit ihr ein leises, weises und witziges Konzert, das den Barockgeist in die Gegenwart trägt. Purcell und Pop, Jazz und Jux und schöne Einsichten: „Der ideale Klavierspieler ist der, der ein Klavier sein will.“ 

Köln, Kunstverein, nächster Tag. Plötzlich stolpert man in ein Theatervergnügen wie in eine Kneipe. Da, am Tresen, ist „Das Helmi“ tatsächlich entstanden. Eine Handpuppengaudi der ganz, ganz schrägen Art, das Stück heißt „10 Stücke in 11 Tagen“. Es vereint alle Fernsehserien, die je gedreht wurden, zu einer Story. Nicht die Erfindung neuer Bühnenkunst, aber ein hinreißender Spaß. 

Das gilt auch für Ivana Müllers „While We Were Holding It Together“ und die Theaterästheten. Nur, dass man Theater so wohl noch nie gesehen hat. Fünf Akteure verharren eine geschlagene Stunde lang in festen Posen, nur in kurzen Dunkelphasen dürfen sie ihre Muskulatur entkrampfen. Die Statuen sprechen Texte, die fast immer mit „I imagine #1#20“ beginnen, sie wechseln die Rollen, sind Robin Hood oder ein Fernsehspot, der Joghurt bewirbt. Ein erzählerisches Netz entsteht, verselbstständigt sich, am Ende geht es auch bei leerer Bühne.

Natürlich geht es auch bei den „Impulsen“ nicht ohne einen richtigen Flop ab. Für mich war das „Die bairishe Geisha“, die in „Mein München – was haben wir hier verloren?“ so lebensunwichtigen Fragen nachgeht wie: „Warum hat die Stadt denn nur eine Niere?“ Mit der Nachfrage: „Hat sie die andere spendiert?“ Lachen mag da keiner. 

Der „Fight Club“ von „God’s Entertainment“ schließlich greift wieder die Frage der Wichtigkeit auf – reduziert die Relevanz allerdings auf ein paar Boxschläge oder Fußtritte Kämpfender. Wie bei „She She Pop“ auch hier das Problem, dass immer auch die Lüge mitspielt. Mit dem Joystick lässt sich kein Kampf steuern, erst recht kein echter. 

Der Westen. Portal der WAZ Mediengruppe, 26. November 2007

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