„Als der Peter kam. Der erste Jahrgang von Zadeks und Strombergs Theaterakademie zeigt sein Abschlussstück“. Berliner Zeitung, 23. November 2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON DANIELA ZINSER

Ach, wie ist das Landleben schön: das Angeln, die Störche, das Waldschwimmbad, das gemeinsame Essen und das viele Trinken. Die sieben Absolventen der ersten Meisterklasse von Peter Zadeks und Tom Strombergs „Was ihr wollt“-Theaterakademie schwelgen auf der Bühne in Erinnerungen. Das Stück ist ihr Abschlussprojekt und erzählt von ihrer Zeit auf dem Land, unter anderem.

Im April zogen die jungen Schauspieler, Bühnenbildner und Dramaturgen für ihr Postgraduierten-Stipendium in Strombergs Gutshaus im brandenburgischen Streckenthin um von den Großen wie Zadek zu lernen und ihre eigene Art von Theater zu finden. Statt eines Diploms gibt es nun das selbst erarbeitete Stück, das am Freitag im Ballhaus Ost Premiere hat: „Selbstauslöser! – eine theatrale Entwicklungshilfe“.

Während die Akteure in einer Szene einander die Vorzüge des Landlebens aufzählen, taucht beim Ausruf „Als der Peter kam – ja, das war schön!“ auf eine Leinwand projiziert Zadek auf. Mit hellbeigem Hut und seiner Lebensgefährtin Elisabeth Plessen geht er über den Rasen, Tom Stromberg hält einen Sonnenschirm über die beiden. Ihre Gesichter sind rot, es ist heiß. Die Handkamera fängt im Hintergrund rauschende Bäume ein. Jubeln auf der Bühne. 

So hatten die jungen Theatermacher sich das vorab vorgestellt: Zadek von Weitem zusehen und allein dabei schon was zu lernen, vielleicht höchstens Kaffee zu kochen und Laufbursche zu sein, erzählt Absolvent Tammo Winkler, der an der Kunsthochschule Weißensee freie Malerei studiert hat. Zum Kaffeekochen hatte er allerdings kaum Gelegenheit, jedenfalls nicht für Zadek. Denn der ließ sich nur das eine Mal blicken, als die Theaterakademie an jenem heißen Sommertag für Sponsoren der Theaterakademie die Handwerkerszene aus Shakespeares Sommernachtstraum aufführten. Darüber hinaus durften die Sieben für zwei Wochen in Bochum zugucken, wie Zadeks Hamlet neu aufgenommen wurde.

Zwar waren die Absolventen ein bisschen enttäuscht, aber im Nachhinein sehen sie es auch als Vorteil. „Wir hingen nicht an irgendwas dran“, sagt die in Salzburg ausgebildete Schauspielerin Miriam Wagner. „Denn das wäre möglicherweise etwas ganz anderes gewesen als das, was wir jetzt für uns machen.“ So konnten sie sich ganz darauf konzentrieren, ihre eigene künstlerische Richtung zu finden – und nebenbei Bekanntschaft mit Schafherden, misstrauischen Dorfnachbarn schließen und Gruppenkonflikte ausleben. Dazu gab es Workshops mit dem Künstler Tino Seghal oder der Dramaturgin Bärbel Jaksch. 

Wie die Absolventen nun Theater verstehen, zeigt ihr Meisterstück. Darin plaudern sie nicht nur übers Landleben, sondern sie fallen auch heraus aus den klassischen Rollen und schlüpfen in selbstgebastelte Ideal-Identitäten, die sie im Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel reihum tauschen und spontan noch ein bisschen anhübschen. Jeder darf so mal Rosa Falter sein, die vor kurzem noch Hermann hieß und ihren Penis in Königs Wusterhausen begraben hat. Oder, Silke, die aber Anna genannt werden will, gerne auf fremde Beerdigungen geht, von einem Zwergpony träumt und demnächst einen Teebeutel spielt.

Das Stück nimmt sich die Erwartungshaltung des Publikums vor, in dem, so glaubt Tom Stromberg, eine ganze Reihe Regisseure und Kritiker sitzen werden, die wissen wollen: Was kommt da raus nach so einer Akademie. Diesen Zuschauern servieren die sieben Akteure wilde Scheinidentitäten und obendrauf mit einem „Ruf mich an!“ gleich noch ihre Telefonnummern. Schließlich soll das Stück ja auch eine Art Bewerbungsauftritt sein. Nach Strombergs Wunsch müssen seine Schützlinge am Ende der Akademie nur dreierlei verinnerlicht haben: die „Entpeinlichisierung“, also sich für nichts zu schämen, gutes Essen von schlechtem zu unterscheiden und den passenden Wein auszusuchen. Zumindest das mit dem Essen habe im Gutshaus am Ende schon ziemlich gut geklappt, meint Stromberg. Seine ersten Absolventen sind ihm besonders ans Herz gewachsen: „Es sind keine Revolutionäre, aber sie haben Humor und sind frech.“ Im Dezember wird er gemeinsam mit Zadek bereits die Kandidaten für die nächste Theaterakademie auswählen – aus mehr als 200 Bewerbungen.

Doch davor stehen sechs Abschlussaufführungen im Ballhaus Ost, danach ein Gastspiel im Hamburger Fleetstreet Theater. Und jedes Mal wird Zadek in Nachaufnahme von der Leinwand lächeln, in gleißendes Sonnenlicht getaucht, geschützt von seinem Strohhut, der oben ausfranst, dort, wo man ihn anfasst, um ihn auf- oder abzusetzen. „Macht’s nochmal“, wird den Sieben in die Filmkamera zugerufen – und dann spielen sie auf der Bühne noch einmal ihren Sommernachtstraum. 

Premiere am Fr., 20 Uhr, im Ballhaus Ost. Pappelallee 15; weitere Termine 25., 26., 30. Nov., 1., 2. Dez.

Berliner Zeitung, 23. November 2006

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