„Auf dem Land: Zu Besuch bei Tom Stromberg“. Theater der Zeit, Heft 6/2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON NINA PETERS

In der riesigen Scheune soll geprobt werden. Auf der Terrasse des Gutshauses, wenige Kilometer von der Scheune entfernt, sitzen sieben junge Menschen und bereiten ein Hörspiel vor. Der Hausherr, Tom Stromberg, hat ein paar Zimmer weiter sein Arbeitszimmer, mit freier Sicht ins Grüne. Die von Stromberg und Peter Zadek initiierte Theaterakademie hat vor wenigen Wochen ihre Arbeit aufgenommen. Kurz davor wurde die Premiere der Theaterproduktion von „Was ihr wollt“, die bei der RuhrTriennale in diesem Jahr herauskommen sollte, aus Krankheitsgründen Zadeks auf die kommenden Wiener Festwochen 2007 verschoben. Die wasihrwollt Productions, früher my way PRODUCTION, von Stromberg und Zadek stehen programmatisch auf zwei Füßen. Auf der einen Seite sind da die drei Shakespeare-Produktionen von Zadek, die er mit seiner Theaterfamilie, unter anderen den Schauspielern Angela Winkler und Eva Mattes in den kommenden Jahren in Koproduktion mit den großen Festivals wie den bereits genannten Wiener Festwochen, der RuhrTriennale und den Berliner Festspielen (spielzeiteuropa) erarbeiten wird. Zum anderen ist da die Postgraduierten-Ausbildung, die auf Initiative von Tom Stromberg nach dem Vorbild der Amsterdamer Schule DasArts gegründet wurde. Die sieben jungen Theaterleute, die ihre Erfahrungen als Schauspieler, als Regieassistent oder Dramaturgin im Stadttheater bereits gemacht oder gerade an der Berliner UdK, der Kunsthochschule Weißensee oder bei DasArts abgeschlossen haben, wurden unter 400 Bewerbern ausgesucht. Sie leben als artists in residence für eine Spielzeit in einem Haus neben der Probebühne, bekommen 600 EUR im Monat, werden bekocht, von der Dramaturgin und Mentorin Gabriella Bußacker (früher am Hamburger sowie am Zürcher Schauspielhaus) betreut, machen Workshops mit Matthias von Hartz oder Tino Seghal und werden so auf ihre eigene Produktion zum Ende der Ausbildung vorbereitet. Tom Stromberg sucht dafür gerade einen Kooperationspartner in Berlin und steht mit dem Ballhaus Ost und dem Maxim Gorki Theater im Gespräch. Gleichzeitig sollen die jungen Leute in den Probenprozess bei Zadek eingebunden werden. Da dieser seine Produktion verschieben musste, wird erst die kommende Theaterakademie in einem halben Jahr von der Zusammenarbeit profitieren. Ob sie später weiterhin zusammenarbeiten werden, wird sich zeigen, „aber sie werden nicht als Einzelkämpfer herausgehen.“ Momentan treffen sie in der großen, hellen Küche lärmende Vorbereitungen für ein gemeinsames Abendessen auf der Terrasse.

Tom Stromberg und Peter Zadek hingen unabhängig voneinander einem Traum nach. Einem Mnouchkinetheater-Traum. Einem Künstlerhaus-Traum. Zu einem Zeitpunkt, als klar war, dass Stromberg als Intendant des Hamburger Schauspielhauses aufhören würde, saßen Zadek und Elisabeth Plessen in Strombergs Intendantenzimmer. Zadek erzählte von seinem Jugendtraum, den er hatte, seit er 18 war, der Gründung einer Theaterfamilie, die auf dem Land probt und anschließend über Land zieht. Stromberg hörte sich Zadeks Idee eines modernen Tourneetheaters an, bat um acht Wochen Bedenkzeit, kalkulierte das Modell durch, wusste gleichzeitig, dass er dieses Angebot von Zadek aus Gründen des Respekts gar nicht absagen konnte, und sagte zu. Stromberg, der sich von Peter Zadek stellvertretend für Stefan Pucher für dessen „Othello“ hatte beschimpfen lassen müssen, nahm die Rolle als Mittler zwischen den Generationen an und dachte, dass es reizvoll sei, Menschen zusammen zu bringen, die sich sonst nicht ohne Weiteres über den Weg laufen würden. Gleichzeitig hatte sich Stromberg zum Ende seiner Hamburger Intendanz mit Freunden das Gutshaus in der Prignitz gekauft, das Künstlern offen stehen sollte. Er hatte vor, dort eine Theaterakademie, eine Postgraduiertenausbildung, zu installieren. Dass Streckenthin einmal der Sitz einer Theaterproduktionsfirma mit riesiger Probebühne und möglicherweise sogar einer weiteren Aufführungshalle sowie einer Theaterakademie werden würde, davon hatte Stromberg tatsächlich nicht geträumt. Allerdings gab es eine Sehnsucht, andere Produktionsformen zu finden, als diese an festen Häusern möglich sind. Am TAT in Frankfurt konnte er freiere Produktionsweisen anbieten, am Hamburger Schauspielhaus hat er diese ebenfalls gesucht. Jetzt lebt er auf dem Land, zwischen Hamburg und Berlin, und sagt: „Wie anders die Produktionsweise hier draußen sein wird, das wird sich noch herausstellen.“ Allerdings habe er derzeit weniger Lust, „in die vorhandenen Produktionszusammenhänge zurückzukehren.“ Er weiß die vorhandenen Strukturen zu schätzen, beobachtet allerdings, dass die richtig guten Schauspieler eine Spielweise praktizieren, die über den geschlossenen Ensemblegedanken hinausgehen, weil sie sich längst aussuchen, mit welchem Regisseur, mit welchen Kollegen sie arbeiten werden. Tom Stromberg hat erlebt, dass das Repertoiresystem mit einem festen Ensemble auf Kosten der Konzentration der Künstler geht. Und dass Regisseure wie Luk Perceval und Johan Simons aufgrund der Arbeitsweise in Antwerpen mit dreimonatigen Proben mit anschließendem Ensuite-Spiel eine ganz andere Konzentration und Qualität hervorbringen können. Er weiß, wie sehr man Energie spart, wenn man sich kennt. Er merkt, wie viel negative Energie in den vorhandenen Betrieben steckt. Und er fragt sich, ob es nicht möglich sei, „die Unzufriedenheit mit dem Vorhandenen in eine kreative Energie umzuwandeln.“ „Es kristallisiert sich für mich immer mehr heraus, dass ich einen Ort mit einer guten Probenmöglichkeit oder vielleicht sogar einem Aufführungsraum schaffen möchte, nicht um ein Repertoiretheater aufzubauen, sondern um Produktionsformen auszuprobieren, die hier entstehen.“ Stromberg will Zadek und dem jungen Theaternachwuchs einen Raum geben, gleichzeitig auch Leuten wie Jan Bosse, Laurent Chétouane, Stefan Pucher. Diese Produktionsform auf dem Land findet dabei neben dem statt, was die Leute ohnehin machen. „Jan Bosse wird weiterhin zwischen Zürich und Hamburg arbeiten. Aber er ruft dann trotzdem an und fragt, ob er mit einer kleinen Gruppe sechs Wochen lang konzentriert etwas erarbeiten will“, sagt Stromberg. Oder es rufen Intendanten an und fragen, ob sie eine ihrer Produktionen für eine Woche Schlussproben in die Prignitz schicken dürfen.

Das Modell ist längst nicht durchfinanziert, und die Gesundheit des 80-jährigen Peter Zadek muss ebenfalls mitspielen. Das private, finanzielle Risiko liegt bei der ehemaligen Zadek-Schülerin und späteren Verlegerin Antje Landshoff-Ellermann, Peter Zadek und Tom Stromberg. Zunächst wurde eine gemeinnützige GmbH gegründet, die keine Gewinne einfahren, aber Spendenquittungen ausstellen darf. Das Betriebskapital liegt bei geringen 25.000 EUR. Die Theaterakademie ist für die nächsten drei Jahre durch die Kulturstiftung des Bundes finanziell gesichert. Es gibt einen Freundeskreis mit etwa 30 Personen, die Geld geben, die Donner Bank in Hamburg unterstützt die GmbH ebenfalls. Und Tom Stromberg geht weiterhin Klinken putzen, als nächstes stehen Gespräche mit den benachbarten Möbelwerken in Meyenburg an. Mit Zadek als Zugpferd hat der Theaterproduzent allerdings schnell Kooperationspartner gefunden. Stromberg wäre außerdem froh, wenn „Was ihr wollt“ nach der Premiere vom Fernsehen aufgezeichnet und auf zwei, drei weiteren Festivals gezeigt würde. Obwohl Fernsehaufzeichnungen heute bei weitem nicht mehr so lukrativ sind: Die Aufzeichnung von Peter Steins „Faust“ habe der Produktion damals drei Mio. DM eingebracht, heute werfe eine Aufzeichnung vielleicht zehn Prozent davon ab. „Wenn ‚Was ihr wollt’ dann noch vier Wochen vor einem ausverkauften Berliner Festspielhaus spielt, dann fallen vielleicht 10.000 oder 20.000 EUR ab, die wir in Zadeks ‚Sommernachtstraum‘ stecken können.“ Künstlern wie Chétouane, Pucher oder Bosse sagt er nur: „Ihr verdient wo anders so viel Geld, ihr müsst das umsonst machen.“ Stromberg bietet die Infrastruktur für die Proben, inklusive frischer Luft und Gastfreundschaft, er sucht die Kooperationspartner, die die Proben finanzieren, und kann am Ende nur hoffen, dass diese Produktionen von Bosse, Chétouane und Pucher auf Tour Geld machen. „Reich werden wir mit dieser Theaterproduktionsfirma nicht. Wir werden sicherlich Geld verlieren und ich kann nur hoffen, dass das nicht zu viel ist“, sagt Stromberg. Mit Blick auf dieses stattliche Haus kämen die Leute zwar auf andere Gedanken, aber: „Wie soll man mit Theater Geld verdienen? Wenn man ein eigenes Haus hätte, mit 1.200 Plätzen, das vorfinanziert ist, dann könnte man mit einer Besetzung wie Winkler und Mattes sicherlich Geld machen.“ Jetzt bleiben die Einnahmen bei den Partnern, die die Proben vorfinanzieren. „Wenn man Shakespeare macht, der dreieinhalb Stunden dauern wird, wenn man sich ernsthaft damit auseinander setzt, dann lässt sich damit kein Geld machen.“ Punkt. Szenenwechsel.

Theater der Zeit, Heft 6/2006

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