„Dem König ist die Welt ein Spielzeug. Dem großen Theaterregisseur Peter Zadek zum 80. Geburtstag“. Berliner Zeitung, 19. Mai 2006

Veröffentlicht von Thomas am

Ulrich Seidler

Heute vor achtzig Jahren wurde Peter Zadek in Berlin geboren. Seither kommt er zur Welt. Bei herkömmlichen Menschen findet der Prozess des Zur-Welt-Kommens ungefähr in der Pubertät seinen Abschluss, wenn er den Ernst des Lebens begreift und aufhört zu spielen. Zadek spielt seit acht Jahrzehnten. „Meine Lebensform ist spielen“, schreibt er in seinem autobiografischen, bisher zweiteiligen Konvolut „My Way“ (1998) und „Die heißen Jahre“ (2006, beide Kiepenheuer und Witsch, Köln). So wie Zadek zur Welt kommt, das heißt, so wie er lebt, so inszeniert er auch: „Ich weiß, dass ich irgendwann einmal anfing, den Vorgang interessanter zu finden als das Resultat.“

Verwöhnter Knabe

Es wäre falsch und vermessen zu behaupten, Peter Zadek hätte den Ernst des Lebens nicht kennen gelernt. Er hat sich nur nicht sonderlich um ihn gekümmert. Als Sohn „völlig assimilierter Berliner Juden“, eines Kaufmanns und einer Bankierstochter, bekam er die SA in Berlin so zu spüren: „Ich fand es ganz toll – mit Musik und Trallala und Tamtam.“ Die Emigration 1933 war für den Siebenjährigen erst einmal ein großes Abenteuer. Vor den Schrecknissen dieser Zeit wurde er fern gehalten. „Später wird der Junge es schwer genug haben“, soll die Mutter gesagt haben, „also verwöhnen wir ihn jetzt“. Das Kind hatte nichts dagegen. Es gibt für seine Verwöhntheit, aber auch für seinen Pazifismus und sein ästhetisches Empfinden eine bezeichnende Anekdote: Wenn er Schokoladenosterhasen und Schokoladenweihnachtsmänner geschenkt bekam, brachte er es nicht übers Herz, sie zu zerstören. Das übernahm dann irgendwann die Mutter, und Peter bekam Bröckelschokolade serviert. 

Heute ist Zadek von Assistenten umgeben, die seine Börse verwalten, seine Rechnungen zahlen, ihn an Termine erinnern und ihn herumfahren. Er lebt viel in Luxus-Hotels. Er mag es, gut behandelt zu werden und dass etwas passiert, wenn er auf den Knopf drückt. Alle scheinen zu wissen, was der Meister als nächstes tun will – manchmal vielleicht sogar ein bisschen besser als er selber. 

Ob im Theater oder in der Wirklichkeit – Zadek erschließt sich die jeweilige Welt, indem er sie gedanklich oder mit schönen, teuren Autos bereist. Er ist kein Eroberer, sondern ein Entdecker in angenehmer Begleitung, ein gern gesehener, bevorzugter Gast, der selbstverständlich in der Mitte sitzt, ohne je vollständig dazuzugehören. 

Die Proben dienen der Suche und nicht dem Training. Zadek hat für sich keine Regeln aufgestellt, er streitet ab, einen Inszenierungsstil zu pflegen. „Mein Theater war und bleibt eigentlich immer ein Experimentier-Theater.“ Ein anderes Etikett, mit dem Zadek seine Kunst gern bezeichnet, lautet: „Menschen-Theater“. Der psychologische Realismus, zu dem er schließlich gefunden hat, macht die Kombination von Mensch und Experiment für die zarten, das heißt für identifikationsanfälligen Seelen im Publikum nicht ungefährlich. Aber ein Theaterabend ist kein Entspannungsbad. 

Zadeks Bedingungen unter denen er seine gedankliche Sorgfalt pflegt, waren nicht von Anfang an luxuriös. In den Fünfzigern inszenierte Zadek im provinziellen Wales – in Städten namens Swansea und Pontybridd. An den dortigen Theatern war es üblich ein Stück pro Woche herauszubringen, immer mit denselben zehn Schauspielern. 

Die richtige Karriere als Theaterregisseur begann erst in Deutschland, wo er 1958 seine erste Inszenierung im Theater am Dom in Köln ablieferte. 1960 engagierte Kurt Hübner Zadek nach Ulm, wo die Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Wilfried Minks begann. Das Dreiergespann ging 1962 für sechs höchst erfolgreiche Jahre nach Bremen, zeitweilig war der andere große Mann des westdeutschen Theaters, Peter Stein, am selben Hause. Es folgten vier Jahre als freier Regisseur, bevor Zadek 1972 in Bochum erstmalig Intendant wurde. Es war wohl der gelungenste Versuch als Theaterleiter. In den Achtzigern war er Intendant am Hamburger Schauspielhaus, bis ihm der Streit mit der Kulturpolitik zu viel wurde. Am Berliner Ensemble, zu dessen fünfköpfigem Leitungsteam er seit 1992 gehörte, hielt er es nur drei querelenreiche Jahre aus. 

Aber da war er ja schon zum Theaterkönig im deutschen Sprachreich geworden und verfügte über ein treues Gefolge von Schauspielern – darunter bis zu seinem Tod Ulrich Wildgruber, Eva Mattes, Angela Winkler, Gert Voss, Susanne Lothar und wie sie alle heißen. Das Theaterleiten konnte er getrost den Intendanten überlassen, seinen dienenden Fürsten, die ihm ihre Häuser zur Verfügung stellen, wenn er geruhte zu gastieren – ob in Wien, Salzburg, Berlin, Hamburg, München. Seine Macht war so grenzenlos wie selbstverständlich, so lange das Geld reichte – und noch ein bisschen länger. Nach der Jahrtausendwende setzte sich langsam die Einsicht durch, dass sich ein einzelnes Theater eine Zadek-Inszenierung nur noch unter finanzieller Verausgabung leisten kann. 

Bevor aus der Einsicht Konsequenzen gezogen wurden, floh Zadek aus den Institutionen und produziert von nun an frei. Geplant sind in den kommenden drei Jahren drei Shakespeare-Inszenierungen. Probiert wird im Prignitzer Refugium des Kulturmanagers Tom Stromberg, der das Geld, das eine Zadek-Produktion nun einmal kostet, aus den Etats der Fürsten zusammenschüttet, durch deren Häuser dann die fertige Produktion zieht. Die Wirklichkeit hat für einen Zadek noch immer eine Utopie übrig. Das sei ihm aus tiefem Herzen und aus Eigennutz gegönnt.

Berliner Zeitung, 19.05.2006

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