„Der Katalysator. Kulturmanager Tom Stromberg hat vier Jahre lang für die Expo in Hannover gearbeitet. Morgen läuft sein Vertrag aus. Was bleibt, was kommt? Ein Porträt zum Abschied“ Hannoversche Allgemeine Zeitung, 29.September 2000

Veröffentlicht von Thomas am

VON HENDRIK BRANDT

„Du wirst ja richtig apathisch“, hat seine Frau neulich zu ihm gesagt. Das war in den Ferien an der Müritz, wo sie mit ihm Rudern war: Ein Jahresurlaub, fast fünf Tage lang. So ein Satz wurmt ihn. „Apathisch!“ Jetzt macht er den Motorbootführerschein.

Tom Stromberg erzählt solche Geschichten nebenbei, aber nicht zufällig. Der private Stromberg wird immer wieder öffentlich. Vielleicht auch, weil es den einen verblüfft, dass er den anderen in seinem Arbeitsleben überhaupt noch trifft. Der Mann hat seit Jahren keine eingerichtete Wohnung, besitzt nicht viel mehr als ungefähr 60 schwarze Anzüge, in denen Rechnungen über die bizarren Kosten eines Nomadenlebens auf Luxusniveau stecken. Alles ein wenig wie bei Oscar Wilde – ohne Chichi. 

Jetzt hat er gerade die Schuhe ausgezogen, und schlendert auf Socken durch die Halle eines noblen Hotels in Hannover. Der Kellner soll Whisky zum Tee bringen. 

Auf dem Tisch schmurgelt eine Zigarre, daneben liegt ein Buch von Thomas Harlan, in dem der Sohn des NS-Filmregisseurs seine Geschichte erzählt. „Interessiert mich gerade sehr, diese Perspektive der Täter-Kinder“, sagt Stromberg und beginnt vorzulesen („nur ein Satz!“). Es ist nicht seine Perspektive; der jüdische Teil seiner Familie war jenen Tätern ausgeliefert. Gibt es da einen Zusammenhang zur Lektüre? „Kann sein“, sagt Stromberg.

Er ist vierzig und kann noch immer nicht gut Stillsitzen. Wobei es für die Ruhelosigkeit in diesen Abschiedstagen gute Gründe gibt. Denn viel lieber wäre Stromberg Tag und Nacht in Hamburg, im Deutschen Schauspielhaus, dessen Intendant er seit zwei Monaten ist und das an diesem Wochenende mit gleich vier Premieren die Saison eröffnet. Seit 1998 weiß er, dass er das komplizierte Amt übernehmen wird, in dem Vorgänger Frank Baumbauer mächtige Maßstäbe gesetzt hat. Aber da war eben immer noch dieser Job als Expo-Kulturchef in Hannover, dem er den Karrieresprung nach Hamburg nicht zuletzt verdankt. Am Sonnabend endet dieser Vertrag nun vorzeitig. Und die Hamburger Freiheit beginnt. 

Gut vier Jahre lang hat sich Stromberg in und für Hannover eingesetzt. Nicht immer aus vollem Herzen, wie manche seiner Sprüche in Hamburg zeigen („Wenn die da in Hannover ihre Expo eröffnen…“, hieß es dort etwa im Mai vor dem Publikum der Schauspielhaus-„Previews“) – aber mit großer, manchmal auch alles andere umwerfender Kraft. Wer diesseits nackter Zahlen eine Expo-Bilanz für Stadt und Region zieht, muss seine Arbeit auf der Gewinn-Seite verbuchen. Stromberg hat Hannover und seiner Kultur geholfen – beide haben ihm im Gegenzug den Karrieresprung vom Leiter eines feinen, aber kleinen Off-Theaters in Frankfurt zum Intendanten des größten Sprechtheaters des Landes ermöglicht. Hannover und Tom Stromberg sind quitt. Ganz freundschaftlich.

Hinter diesem Erfolg steht eine Strategie, die mit dem Wort „Management“ unzulänglich beschrieben ist. Manche seiner Mitarbeiter versichern sogar, Stromberg sei gar kein so guter Manager – bei seiner Ungeduld, Ruppigkeit und häufigen Unlust zum Delegieren. Stromberg ist vor allem ein Kommunikator; der mit allen Sinnen Talente und gangbare Wege erspürt. Und sie überzeugend darstellen kann und mag. Binnen Sekunden geht er vom genervten Raunzen ins Telefon zu einem druckreifen Statement in halbierter Sprechgeschwindigkeit über. Der Interviewer, den Stromberg („im Rundfunk bin ich am besten“) stehen lässt, muss noch geboren werden. 

Hier geht es nicht nur um Fachqualifikation (die bei ihm im Theaterbereich größer ist als viele Hämeschleudern glauben). Es kommt ihm zugute, dass er ist, wie er ist und lebt, wie er lebt. Stromberg spielt eine Rolle, weil er nur selten eine Rolle vorspielt.

Auf dieser Basis hat Stromberg alle Expo-Schlammschlachten überstanden. Die großen wie die selbst verursachten. Oder erinnert sich noch jemand an die Affäre um die französischen Aktionskünstler „Générik Vapeur“, die im Herbst 1997 bei einem Umzug versehentlich das Mahnmal für die ermordeten Juden an der hannoverschen Oper beschädigten? Oder an die Aufregung über den Stromberg-Spruch, man könne in der täglichen Expo-Parade ja auch einen „Chaostage-Festwagen“ mitfahren lassen? Oder an die offiziell nie bestätigte Aussage des Verlegers Hubert Burda, der Stromberg im „Kulturrat“ der Expo für verrückt erklärt hatte, weil er Peter Steins „Faust“-Projekt mitfinanzieren wollte? Sogar seinen größten Image-Kampf hat er am Ende fast gewonnen: Die Kritiker des 400 000-Mark-Jingles, der Stromberg bei der Gruppe „Kraftwerk“ reichlich teuer eingekauft hatte, sind angesichts des Erfolgs der Produktion leiser geworden.

Auf zwei Stützen konnte sich Stromberg bei aller Rotzigkeit („Sie können Künstlern nicht alles vorschreiben“) und allem Streit innerhalb der Expo-GmbH („Über Inhalte können sie mit Wirtschaftsprüfern eben nicht reden“) verlassen: Auf Expo-Chefin Birgit Breuel, die ganz gegen ihre Art einen Narren an ihm gefressen hat und auf die Kulturträger in Hannover. Dass er mit ihnen anders umgehen wird, als es bei der Expo bis dahin üblich gewesen war, machte er sofort nach seinem Amtsantritt im Juni 1996 klar. Bereits im Oktober hatte er das dahinsiechende Festival „Theaterformen“ der Staatstheater in Hannover und Braunschweig wiederbelebt. Im November folgte geschickt ein „Förderpreis für freie Theater“, der in dieser Szene die Expo-Stimmung veränderte. Absprachen mit den großen Museen und Ausstellungshäusern schlossen sich an. „Hier war endlich ein kompetenter Ansprechpartner, der ein wenig Geld in Aussicht stellte, aber vor allem mit der Wucht der Weltausstellung im Rücken helfen konnte“, erinnert sich Kunstverein-Chef Eckhard Schneider, dessen Gerhard-Merz-Projekt im Güterbahnhof ebenso von Stromberg protegiert wurde, wie andere große Ausstellungen des Sommers 2000. Im Gegenzug steckten die Museen zähneknirschend die Entscheidung weg, dass auf dem Expo-Gelände selbst zwölf Millionen Mark für das „In Between“-Projekt ausgegeben wurden.

Als Stromberg im Februar 1997 auch noch das ewig einspargefährdete Kommunale Kino mit einem „Weltkinofestival“ ausstattete („Darauf bin ich richtig stolz“), war schon fast alles für ihn gewonnen. Die Expo-Kultur hatte erreicht, was der Expo-GmbH aus Borniertheit und Ungeschicklichkeit nie richtig gelungen ist: die Verankerung in der Stadt.

Vielleicht das Wichtigste dabei: Der alte Schnack von Hans Mayer aus den siebziger Jahren, dass die Kulturverantwortlichen in Hannover zwar voneinander wüßten, sich aber tunlichst nie begegneten, ist nicht mehr aktuell. Stromberg hat seinen Anteil daran – nicht umsonst ist er ein gefürchteter „Vorsteller“. Dankbarkeit hierfür kann Hannover nicht so recht zeigen. Aber als Stromberg im Mai bei der Merz-Vernissage im kalten Güterbahnhof nach einigen Gläsern Wein auf einen Klappstuhl stieg und sich bei den versammelten Mitstreitern aus der Kulturszene bedankte, wurde plötzlich vielen klar, dass die Zeit des selbstbewussten Gast-Kulturdezernenten mit der großen Klappe und der vollen Kriegskasse, nun zu Ende geht.

Verbindlichkeit und Verknüpfungsgeschick diesen Zuschnitts haben letztlich auch die Grundlage für den Erfolg des Expo-Kulturprogramms mit seinen inzwischen kaum noch seriös zu zählenden Veranstaltungen gelegt. Als Stromberg im Frühjahr 1996 vom damaligen EXP0-Chef Theodor Diener im Salzburger Café Tomaselli das Amt des „Artistic Director“ der Expo angeboten wurde, lag sein Etat bei gerade einmal 40 Millionen Mark. Am Ende bewilligte der Aufsichtsrat fast 100 Millionen Mark mehr. Weil Gerhard Schröder das so richtig fand – der wiederum klug auf die Tipps aus der hannoverschen Kulturszene hörte, der Stromberg das Geld zum Teil schon versprochen hatte. Kultur-Politik.

Stromberg muss weiter. Während er den Whisky austrinkt und nach den Schuhen tastet, kommen lauter Hannover-Erinnerungen aus der Zwischenablage. An Carl Haenlein etwa, der ihn als Direktor der Kestner-Gesellschaft mit seinem Kirschgarten beeindruckt und als Marketing-Eigenbrötler verärgert hat. An das „Opern-Loch“ im Expo-Programm, das er sich ankreidet, weil er zum hannoverschen Intendanten Hans-Peter Lehmann künstlerisch keinen Draht gefunden hat. An Ministerialdirigentin Barbara Kisseler, die im Kulturministerium kompetent die Fäden ziehe. Und an Peter Stein, der ihn beschimpft und mit Koffern beworfen habe und noch immer kein Wort mit ihm spreche. „Dabei würde einmal „Danke“ für den „Faust“ ja reichen“. Sagt Stromberg. Da sitzt ein Stachel.

Dass er die Schauspielerin Wiebke Puls in Hannover kennengelernt und geheiratet hat, erwähnt er nicht. Kaum, weil es zu privat wäre. So ist er nicht. Sondern weil er schon weg ist. Mit ihr. In Hamburg ist heute Abend Premiere.

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 29. September 2000

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