„Zadek“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON GERHARD STADELMAIER

Heute feiert der blutjunge Regisseur Peter Zadek seinen achtzigsten Geburtstag. Wem das als Glossenpointe noch nicht reicht, dem sei in einem zusätzlichen kurzen Satz versichert, daß der Mann, der in Shakespeare den Boulevard und im Boulevard den Shakespeare entdeckt, der aus Tragödien Revuen und aus Revuen Tragödien macht, der die nackte, tote Desdemona über eine Wäscheleine hängen läßt und Ibsens Katastrophenbürgern die komischen Pantoffeln anzieht, aber aus den Pantoffeln mehr Wahrheit herauskitzelt als aus jeder Lebenslüge und die Wäscheleine als Lebenslinie begreift, der aber das Leben nicht mit dem Theater verwechselt, dessen Kunst aber um Klassen lebendiger und anarchischer ist als das Konzepttheater der verkrampften Berufsjunganarchisten, der das deutsche Theater belebt, durchwirbelt, weiter gebracht hat wie kein zweiter, der gebürtige Berliner, der nach England emigrierte und wieder zurückgekehrte Jude, der aus dem Juden Shylock erst ein antisemitisches Klischee, dann einen eiskalten Kapitalisten formte, im antisemitischen Klischee mehr Menschlichkeit als in jeder gutgemeinten philosemitischen Übermalung des bösen Juden und im eiskalten Kapitalisten mehr humane Verzweiflungswärme als in jedem Sozialarbeiter herausholte, der Chaot, der als Intendant eine Katastrophe, als Künstler ein Glück ist, der Wurstige, der immer nur „my way“ geht und in Zukunft frei nur noch produziert, was er will und wie es ihm gefällt, der Schauspielerbeleber und -zurverzweiflungtreiber, der Erotiker, dem ein falsches Gefühl tausend Pfund mehr wert ist als eine richtige These – dieses große, verwöhnte und uns mit seinen hinreißenden Unverschämtheitheiten (Scheitern inklusive) verwöhnende Kind ist: der größte, beste, reichste, phantasievollste, natürlich auch nervendste Theaterzauberer, der diesem Land je gefehlt hat.  G.St.


Post scriptum: Einmal hat Peter Zadek gehöhnt, wenn er Kritiker wäre, „der sich all den Scheiß angucken“ müßte, würde er sich lieber gleich erschießen. Solange es ihn gibt, bleibt die Pistole in der Tasche. Hoch aber den Spiralblock!

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 2006

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