„Er ist der Maßstab. Er ist die Mutter aller Maßstäbe“. Die WELT, 19. Mai 2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON REINHARD WENGIEREK

Michael Thalheimer, Regisseur: Lieber Peter Zadek, von ganzem Herzen alles Gute. Dank für unvergeßliche Inszenierungen wie „Kleiner Mann, was nun?“, „Othello“, „Lulu“. Sie haben mich irritiert und beeindruckt. Die achtziger Jahre wären ein unerträglich langweiliges Jahrzehnt gewesen ohne Sie. 

Gregor Gysi, Politiker: Peter Zadek mußte Deutschland als Siebenjähriger verlassen. Ich habe mich immer gefragt, wie man das als Kind verkraftet, wenn man erfährt, daß man ein Land verlassen muß, weil man dort nicht gewollt ist und daß man, wenn man dort geblieben wäre, höchstwahrscheinlich umgebracht worden wäre. Kürzlich erzählte er mir, er habe Geige gespielt – und erst dann Theater. Und habe Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ auch deshalb so häufig inszeniert, weil er sich mit der Figur identifizieren konnte: Als Jude, als Außenseiter und natürlich besonders in Deutschland. Ich bewundere den Mut und die Lebensleistung von Peter Zadek. 

Tom Stromberg, Regisseur: Liebes Enfant terrible! Da sitzt Du nun auf Deinen italienischen Bergen und guckst auf uns, die wir in den Niederungen hausen. Auch wenn Du längst derShakespeare-Regisseur im deutschen Theater bist: Shakespeare will noch was von Dir. Er gibt keine Ruhe und Du ja auch nicht. Quäle also nur ruhig Deine Liebsten vom Olymp herab. Wir wissen, daß wir Großes von Dir erwarten können nach dem 80.! Du wirst ins Tal hinunter steigen und die Geschicke wieder mit uns in die Hand nehmen. „Was ihr wollt“ ruft. Bis dahin salbe und erhole Dich. 

Jürgen Flimm, Regisseur: Wie beim alten zornigen Kortner sind Zadek-Aufführungen stets Forschungsreisen in die Mitte des „globe“ auf der unruhigen Suche nach der inneren Wurzel, auf der Suche nach der geheimnisvollen Materie, die Wolkenkuckucksheime wegpusten und Himmelsleitern hoch aufrichten kann und wie Erdbeben die matten Köpfe trauriger Tröpfe erzittern läßt. 

Judy Winter, Schauspielerin: Tja, lieber Peter, was soll ich Dir wünschen? Du hast sicher alles gehabt; vielleicht kannst Du was mit meinem Lieblingszitat von Bohumil Hrabal anfangen: „Dieses Leben ist schön, unbeschreiblich schön.“ Nicht, daß das so wäre, aber ich sehe das so. Ich hoffe, Du auch! 

Wilfried Minks, Bühnenbildner: Über Peter Zadek ist in den letzten 80 Jahren schon alles gesagt worden. Er wurde gelobt und getadelt, erst von seiner Mutter, später von der deutschen Presse. Also das Ganze nicht noch einmal, keine Wiederholungen, würde er sagen. Ich bin seit 50 Jahren mit ihm befreundet. Er ist mein bester Freund. Aber eine Freundschaft mit ihm muß einiges aushalten. Er sagt immer alles, was er denkt und ist auch noch stolz darauf. Sein Urteil ist immer rein subjektiv. Er ist der Maßstab. Er ist die Mutter aller Maßstäbe. Er ist nie langweilig, immer provozierend, manchmal ätzend. Er ist 80 und kein bißchen weise. Er ist mal so und mal so und im nächsten Moment wieder ganz anders; in allem nicht leicht zu kategorisieren. Und so ist auch seine Arbeit: Immer überraschend und nie um eine Aussage bemüht. Er ist ein genialer Regisseur. Der beste, den es seit 50 Jahren gibt. 

Martin Schwab, Schauspieler: Lieber Peter, in Deinem wunderbaren Buch „Das wilde Ufer“ schreibst Du: „Ich gebe Peymann-Spielern wie Voss und Schwab eine neue Freiheit, und von ihnen kommt eine pingelige Genauigkeit im Formulieren, die meine Schauspieler manchmal nicht haben. Das ist auch eine Erneuerung für mich.“ Da hast du wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. 

Julia Jentsch, Schauspielerin: Lieber Peter, von Herzen alle guten Wünsche und unerschöpfliche Kraft für Deine vielen Pläne. Es ist eine große Bereicherung mit Dir zu arbeiten. Meinen Dank dafür!

Ulrich Waller, Intendant St. Pauli Theater Hamburg: So einer wie Du wird noch gebraucht in einer Zeit immer schneller wechselnder Moden und gewalttätiger Regisseurshandschriften. Einer, der soviel weiß über Menschen und der dieses Wissen so unangestrengt in seinen Bühnenfiguren aufscheinen lassen kann. Einer, der seinen Schauspielern so viel entlocken, der so punktgenau besetzen kann und der alte und neue Texte so genau und mit immer überraschenden Ergebnissen lesen kann. Deine Neugier, Deine Unbestechlichkeit, Deinen fast kindlichen Glauben an das Theater und das, was man mit ihm erzählen kann, möchte ich nicht missen. 

Hark Bohm, Regisseur: Seine Inszenierung der „Räuber“ scheint rückblickend ein Seismograph für Erschütterungen des Jahres 1968. Seither hat er immer seine Zuschauer in Aufregung versetzt. Mit Stücken die vor 400 Jahren geschrieben wurden! Ohne Text und Thema zu zertrümmern, um aus den Trümmern etwas vermeintlich Zeitgenössisches, Eigenes zusammenzukleben. Unser Sohn Uwe hat mir die Augen für das geöffnet, was Peter Zadek zu einem unübertroffenen Meister des Inszenierens macht. Zadek hatte Uwe 1988 die Rolle von Jack the Ripper in Wedekinds „Lulu“ im Hamburger Schauspielhaus anvertraut. Auf der Bühne zelebrierte sich zweifelsohne der von Wedekind erfundene „Jack“, denn Zadek hatte ihm geholfen, sich aus dem Kokon des Textes zu einem schrecklich faszinierenden Menschen zu verwandeln. Zugleich aber war es „unser“ Uwe. Ich begriff, Zadek läßt Angela Winkler nicht irgendein Bild von Hamlet nachahmen. Wir erleben einen im Jetzt suchenden, liebenden, verzweifelten und rücksichtslosen Hamlet, weil wir (wie einst Ulrich Wildgruber) eine heute suchende, verzweifelte Angela Winkler erleben. Zadek war nie versucht, aus Stücken Erörterungen zu machen. Ihm ist Theater ein Ort emotionaler Wahrheit im Jetzt. Ihm ist der Mensch ein emotionaler Prozeß. Deshalb wird er geliebt.

Die WELT, 19. Mai 2006

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