„Peter Zadek. Der Kinderträumer“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Februar 2005

Veröffentlicht von Thomas am

VON GERHARD STADELMAIER 

Als der gebürtige Berliner in den sechziger Jahren aus dem Londoner Exil hierzulande auftauchte und mithalf, das deutsche Nachkriegstheater als einer der nicht nur damals Jüngsten zu erneuern, war er schon knapp vierzig: unnachahmlich kindlich, eigensinnig, naiv, alles fordernd, aber auch alles schenkend, zuzeiten wild, zuzeiten auch nur albern, ein Verderber des Leblosen, mit dem Anspruch, der Phantasie zur Theatermacht zu verhelfen. So lebte Peter Zadek das Paradox, alles Feste, Geregelte, Betriebliche herzlich zu verachten – aber dauernd darauf angewiesen zu sein: wenn er aus einem Shakespeare eine Revue und aus einer Revue einen Shakespeare, aus einem Kitsch eine Tragödie und aus einer Tragödie ein Kasperltheater machte; wenn er die großen Figuren auf groteske Wege und Abwege lockte, die aus dem Theater ins Leben führen sollten, aber manchmal auch einfach in der Kulisse landeten.

Im besten Fall freilich kamen Hamlet, Lear, Lulu, Hedda Gabler, Shylock, Peer Gynt, Othello, Rosmer, Rebekka und die Ranjewskaja von ihren Wanderungen erfrischt, belebt, verwandelt zurück. Der Grund dafür lag oft in fünf, sechs Monaten Probenzeit und im Totalanspruch des Meisters, daß alle Mittel eines Hauses ohne Rücksicht auf andere ihm allein zu dienen hätten. So war er immer auch eine solitäre Krake, die alle und alles umschlang. Zadek, der vielfältigste, wandlungsfähigste Theaterkünstler neuerer Zeit, auf keinen Stil, keine Marke, keine Marotte festlegbar, machte seinen Weg von Ulm über Bremen, Bochum, Hamburg, Berlin, Wien ganz allein – ohne allein sein zu können. Das war sein Widerspruch. Seine Intendanzen in Bochum und Hamburg waren deshalb chaotische Kompromisse. „May way“ nannte er seine Autobiographie: Report eines ständigen Entlangruderns an Kunst und Leben – am „wilden Ufer“. Jetzt aber will Zadek seinen Widerspruch auflösen, den Restweg vollends alleine gehen.

Deshalb hat er zusammen mit Tom Stromberg, dem scheidenden Hamburger Intendanten und Zadek-Nachfolger, eine Produktionsgesellschaft gegründet. Und sie beziehungsvoll auf den Namen „my way productions“ getauft. Die Theaterfirma mit dem eigenen Weg im Wappen residiert in einem alten, großen Haus in Streckenthin bei Pritzwalk im Brandenburgischen – mit angeschlossener Probenbühne. Für den bald Achtzigjährigen die „Erfüllung eines alten Kindertraums“: endlich völlig unabhängig vom üblichen Betrieb Theater machen zu können. „Was ihr wollt“ soll 2006 die erste Produktion sein, mit „meinen wunderbaren Schauspielern“ wie Eva Mattes und Angela Winkler. Koproduziert mit verschiedenen Festivals, soll, so hofft Zadek, der erste Shakespeare sich selber tragen. 2007 und 2008 sollen weitere folgen: Old William, der Haus- und Chaosgott Zadeks, sozusagen als Hauptkommanditist der Kindertraum-Gesellschaft.

Kinderträumen muß man einfach von Herzen Glück wünschen. Wenn aber dann der neunzigjährige Zadek 2016 wieder reuelos in einem deutschen Stadttheater auftauchen und „Alles her zu mir!“ rufen sollte, wäre für ihn im großen Theaterkindergarten ja noch ein Plätzchen frei. Denn ein riesigeres Kind fände man so schnell nicht.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Februar 2005
 

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